nd-aktuell.de / 05.12.2016 / Kommentare

Aufrichtig unterschätzt

Katja Herzberg sieht im Rücktritt von Matteo Renzi ein konsequentes Vorgehen, das Italien aber zurückwirft

Katja Herzberg

Italien hat es mal wieder allen gezeigt. Die Erleichterung über die Niederlage des Rechtspopulisten Norbert Hofer bei der österreichischen Bundespräsidentenwahl wollte sich gerade in Genugtuung verwandeln, da setzte es doch den Tiefschlag für all jene, die Europa aus der Krise reformieren wollen. Mit dem mehrheitlichen Nein zur Verfassungsreform haben die Italiener ihre Regierung zu Fall gebracht und Europa »in Sorge« versetzt, wie es heißt. Doch wie die Horrorszenarien, mit denen viele Medien auf den Sonntagabend hinfieberten, sind die ersten Kommentare, Renzi habe sich verzockt, rundherum anmaßend wie offensichtlich kenntnislos. Es ging bei dem Referendum nicht vornehmlich darum, wie sich Italien zu Europa oder zu den Finanzmärkten verhält. Es ging um grundsätzliche Fragen der politischen Organisierung des Landes und seiner Verfassung. In einem Land, das sich zu einem beträchtlichen Grad selbst vom Faschismus befreit hat und anschließend eben diese Verfassung schrieb, sind Machtverschiebungen eben nicht so leicht zu machen. Das musste nun auch Matteo Renzi einsehen.

Von der Verbundenheit vieler Italiener zu ihrer Grundordnung wurden nicht nur einige Beobachter überrascht, sondern offenbar auch der Premier selbst. Er hat nicht sich überschätzt, sondern seine Wähler unterschätzt. Als sie seiner PD bei der Parlamentswahl vor knapp drei Jahren eine deutliche Mehrheit gaben, wollten sie Veränderung. Sie forderten ein Ende der korrupten Machtbesessenheit im Palazzo Chigi, in dem Silvio Berlusconi über drei Jahrzehnte – wenn auch mit Unterbrechungen – schaltete und waltete. Viele Italiener wollten und wollen nach wie vor die Politikerkaste loswerden, die immer wieder in Schmiergeldskandale verwickelt ist und in Ämtern einzig die Möglichkeit sieht, sich persönlich zu bereichern. Matteo Renzi hätte derjenige sein können, der damit Schluss macht. Mit seinem Abtritt im erst 42. Lebensjahr bleibt Renzi wohl vorerst der jüngste Premier in der Geschichte seines Landes. Der Florentiner ist jedoch auch ein Berufspolitiker mit kurzzeitigem Ausflug in die Unternehmerwelt.

Schon sein Weg ins Amt des Regierungschefs verhieß viel Durchsetzungsvermögen und wenig Vereinigungskraft. Renzi mischte 2013 und 2014 seine Demokratische Partei auf, ohne eine Richtungsentscheidung herbeizuführen. Er stürzte seinen Parteikollegen Enrico Letta zwar mit vollmundigen programmatischen Ankündigungen vom Ministerpräsidentensessel. Wie er jeden Monat eine Reform umsetzen wollte, blieb aber schon damals offen.

Dennoch erhielt er das Vertrauen der Wähler, als im Mai 2015 die Europawahl erstmals Anlass bot, indirekt über den Premier abzustimmen. Der Aufschwung der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung schien gebannt. Genau dieses Vertrauen verspielte Renzi jedoch. Seine Reformversprechen blieben hohle Phrasen. Seine größten Errungenschaften sind ein Wahlgesetz, das den Gewinnern mehr Macht verschaffen sollte und wegen der gescheiterten Verfassungsänderung nun wieder geändert werden muss, sowie eine Reform des Arbeitsrechts, die den Kündigungsschutz aushebelte, aber insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit nicht gelindert hat. Statt auf die Gewerkschaften zuzugehen und sie zu Verbündeten zu machen, brachte er sie und damit einen erheblichen Teil seiner Partei gegen sich auf.

Das rächte sich jetzt beim Referendum, das Renzi nur folgerichtig zur Abstimmung über seine Person machte. Immerhin bleibt der Sozialdemokrat hierbei konsequent und aufrichtig, wenn er seinen Posten nun räumt. Italien hilft das aber nicht weiter. Renzi unterschätzte nicht nur das Vertrauen der Menschen in die bisherige Verfassung. Er ging auch demokratiepolitischen Debatten aus dem Weg, die allen voran die Linke in seiner PD und in der zersplitterten Opposition einforderten. An den konkreten wirtschaftlichen und sozialen Problemen vieler Menschen ging das Referendum ohnehin vorbei.

Renzis Vorgehen bestärkte so auch die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), die sich seit der Wahl 2013 doch längst selbst entzaubert hatte – ihr Anführer Beppe Grillo schafft es kaum über markige und immer weniger witzige Sprüche hinaus, Parlamentsabgeordnete und Bürgermeister des M5S sind genauso wie ihre verhassten Vorgänger in Korruptionsskandale verwickelt. Und selbst die längst tot gesagte rechtsradikale Lega Nord bekam zuletzt wieder Auftrieb. Italien steht nach drei Jahren Renzi wieder vor einem Neubeginn. Die ganz böse Überraschung könnte die Italiener und Europa erst noch bei einer vorgezogenen Parlamentswahl ereilen.