Der zeitgemäße Wahnsinn

Rolf Hochhuth: Tragikomödie »Heil Hitler« an der Akademie der Künste

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.
Was Hochhuth dem Theater auch immer Neues gab, das war etwas anderes: das war ein produktives Mißverständnis. Es war das Theater als Essay, manchmal, zur Freude seiner Feinde, auch nur als dialogisierter Leitartikel. Ob »Stellvertreter« oder »Juristen«, da hatte jemand so akribisch-unorthodox recherchiert, wie man sich das von einem »Spiegel«-Reporter wünschen sollte. »Komm hebe ruhig diese Decke auf« schrieb Gottfried Benn - und für Rolf Hochhuth ist dieser Vers zum Leitmotiv geworden. Man merkt Hochhuth den Autodidakten an, der, weil er nie studiert hat, immer so viel Bildung als Schild gegen die Welt vor sich herträgt, wie es nur jemand schafft, der immer aufs Neue meint, etwas beweisen zu müssen. Dramatiker wie Beckett oder Müller wollen nie etwas beweisen, sie begnügen sich mit einem gut inszenierbaren Behaupten des Unerhörten. Hochhuth dagegen würde nie etwas behaupten, was er nicht belegen könnte, was nicht ausführlich kommentierbar wäre. Anfang der sechziger Jahre war Hochhuths Doku-Drama ein Tabu-Bruch ohnegleichen. Da wurden authentische Fälle dokumentiert, die die selbstzufrieden ihre Vergangenheit unter dem Teppich des Wirtschaftswunders kehrende Bundesrepublik in ernsthafte Schwierigkeiten brachte. Da wurden Mittäter am NS-Verbrechen nicht nur benannt (die katholische Kirche, die Justiz), da wurde eine lückenlose Beweisführung abgeliefert. Diese erforderte gerade solch ein politisches Tatsachentheater, das Adorno wiederum wegen der Dominanz des politischen Inhalts gegenüber der ästhetischen Form zu einer heftigen Polemik veranlasste. Dieser Streit ist lange her - und doch jedesmal, wenn ich nun in einem Hochhuth-Stück sitze, in dem keine Tabus mehr gebrochen werden, dann denke ich an Adorno. Der historische Augenblick, in dem Hochhuth gegen Adorno recht hatte, wo die Kunst tatsächlich eine Waffe war, er blieb kurz. Danach hatte wieder Adorno recht: Kunst ist subversiv nur als eine ästhetische Form, die bisher außer Frage Stehendes schlagartig delegitimiert . Will Hochhuth das etwa nicht? Doch, aber eben auf eine eher episch umschreibende, eine reflektierende Weise. »Heil Hitler« versucht gerade nicht des Diktators Psyche bloßlegen, wie derzeit Mode, sondern will den historischen Nerv treffen, der solch einem wie Hitler zujubeln ließ. Das ist die Absicht. Allerdings, auch Hochhuth will unbedingt eine Komödie machen, wenn auch eine belehrende. Wer wüsste nicht, der befreiende Witz ist überlebensnotwendig. Aber wozu soll es gut sein, uns heute über Hitler lustig zu machen, er quält uns ja nicht mehr? Da wird jeder Witz leicht schal. Der eine, weil er geschmacklos ist, der andere, weil er gerade das in höchster Beflissenheit vermeiden will. Nein, lustig ist dieser Abend in der Akademie der Künste am Hanseatenweg dann auch nicht. Ist das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht? Das Interessanteste an Hochhuths Stücken sind immer die Vorsprüche und Szenenanweisungen. Zu »Heil Hitler« fand er Anregung in Ernst Jüngers Tagebüchern. Ein Eintrag vom 7. Januar 1942: »Gestern habe ich eine Dienstreise nach Sorau in der Lausitz gemacht, wo ich einen Gefangenen in das Lazarett zu überliefern hatte. Dort mußte ich auch dem Irrenhaus einen Besuch abstatten. Es begegnete mir dabei eine Frau, deren einziger Tick darin bestand, daß sie ununterbrochen "Heil Hitler" murmelte. Immerhin ein zeitgemäßer Wahnsinn.« Das Stück »Heil Hitler« vom Blochberger-Ensemble in der Regie von Lutz Blochberger aufgeführt, will heitere Parabel über einen bösen Witz sein. In der Hauptrolle Ludwig Blochberger (sehr kraftvoll) als Till. Der ist, wie sein Name bereits andeutet, ein echter Eulenspiegel. Sein Vater kam ins KZ, weil er den Hitlergruß verweigerte. Nun trifft per Nachname die Urne ein. Till steht vor der Einberufung, aber er hat eine Idee: Er will sich den Anschein geben, verrückt zu sein, um in einer Irrenanstalt das Ende des Krieges abzuwarten. Sein Trick ist ein Tick: Er zeigt immerzu den Hitler-Gruß, auch und gerade dann, wenn es nicht passt. So sehen wir also erwartungsgemäß eine Variation von »Einer flog übers Kuckucksnest«. Die »Bolschewistische Kurkarpelle« macht die Musik dazu. Blochbergers drücken aufs Tempo, versuchen das Stück nicht in Konversation versanden zu lassen. Da wird es dann stellenweise zum Stehgreifkabarett. Das ist nicht schlecht, aber richtig gut ist es auch nicht, weil sehr ausrechenbar. Immerhin: »Heil Hitler« mit Musik ist unterhaltsamer als ohne Musik. Die Bühne (Stephan Besson) spätexpressionistisch mit viel sichtbarer Geometrie ausgestattet, lässt erwarten, dass gleich Doktor Caligari um die Ecke biegt. Das tun aber nur schmierige Kleinbürger, wie der militante Denunzianten-Blockwart Willi Rotter (Ingolf Müller-Beck) und Irrenärzte wie aus dem Bilderbuch. Die erotischen Spielversuche zwischen Till und der wasserstoffblonden Irrenärztin Frau Doktor Hildegard Heinemann passten wohl besser in die Vorabendserie »Gute Zeiten, schlechte Zeiten«, so wie diese immer mehr ins Boulevardhafte abgleitende Groteske auch eher ans Theater am Kudamm gepasst hätte.
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