Für alles zuständig

Dietrich Fischer-Dieskau schrieb über den Theatermann Goethe

Schiller arbeitete am »Wallenstein», und Goethe schaute ihm gespannt über die Schulter. Er wünsche nichts mehr, schrieb er am 3. Januar 1798 hinüber nach Jena, als dass der Freund sein Werk »dies Jahr vollbringen« möge. Er ermunterte, drängelte, ließ keine Gelegenheit aus, den zaudernden Freund anzuspornen. Mit Schillers Drama, dem ersten Teil wenigstens, wollte er in Weimar eine neue Theater-epoche beginnen. Für die Voraussetzungen war gesorgt, der Umbau der Spielstätte in vollem Gange, Maler und Zimmerleute emsig dabei, die Pläne des württembergischen Baumeisters Thouret umzusetzen. Die Bühne wurde nun so groß wie der Zuschauerraum, die Sitzplätze nicht mehr streng getrennt für Adel und Bürger, die Belüftung besser und die Beleuchtung auch. Von morgens bis abends hockte Goethe im Theater, sah zu, wie das Werk allmählich Gestalt annahm, fasste manchmal sogar selber mit an. Er war der Hausherr, der sich für alles zuständig fühlte, und er wollte die neue Ära auch mit einer großen Aufführung einleiten. Nicht mit Kotzebue und auch nicht mit »Götz«, dem eigenen furiosen Frühwerk, sollte es losgehen, sondern mit dem »Wallenstein«, Schillers großem, nur leider nicht so hurtig vorankommendem Wurf. Goethe setzte programmatisch auf Anspruch. Die Zeit der Belanglosigkeiten und bloßen Vergnügungen war vorbei. Es ist noch nicht lange her, dass Ekkehard Krippendorff im Berliner Wissenschaftsverlag die Dichtungen, Schriften und Berichte Goethes über seine Theaterarbeit bündelte und damit die immensen Anstrengungen des Dichters verdeutlichte, die Weimarer Bühne aufs Niveau einer ernsthaften Anstalt zu heben. Der Deutsche Taschenbuch Verlag vertieft das Thema jetzt, Wochen vor dem 175. Todestag Goethes am 22. März, mit einem Band, der detailliert und kenntnisreich erzählt, wie viel Zeit und Energie, wie viel Einsatz, Ausdauer und Nervenstärke nötig waren, um die Weimarer Schauspielkunst von Tändelei und Schmiere zu befreien. Verfasst hat ihn ein Mann, den die meisten wohl nur als Sänger kennen: Dietrich Fischer-Dieskau, inzwischen Anfang achtzig, lange auf den Bühnen der Welt zu Hause, nebenbei Maler (mit eigenen Ausstellungen) und seit einiger Zeit auch als Autor erfolgreich. Er hat Biografien über Hugo Wolf und Karl-Friedrich Zelter geschrieben und macht nun aus seiner Liebe zum Theater und seiner Sympathie für Goethe ein starkes, kurzweiliges Buch, ein Porträt des Dichters als Intendant. Natürlich ist Fischer-Dieskau nicht der Erste, der sich diesem Thema stellt, aber noch nie hat sich jemand so materialreich und konzentriert, auch so leichtfüßig im Theater des klassischen Weimar bewegt wie er. Goethe hat sich ja, kaum sesshaft an der Ilm, um alles Mögliche gekümmert. Es dauerte zehn Jahre, dann hingen ihm die Staatsgeschäfte zum Halse raus. Das Hoftheater blieb die Ausnahme. Hier war er mit ganzer Seele, mit Leidenschaft, Strenge und manchmal auch Pedanterie dabei. Er lockte Corona Schröter nach Weimar, inszenierte, probte, ließ sich vorsprechen, bekämpfte den Schlendrian und führte die Liebhaberbühne mit ihren Laiendarstellern allmählich aus den Gefilden des bloßen Amüsements heraus. Fischer-Dieskau beschreibt den Prozess in kurzen, gedrängten Kapiteln. Er erzählt von Bellomos Truppe, die lange die Weimarer Szene beherrschte, vom flinken, schreibwütigen Kotzebue, von den »Räuber«-Aufführungen, denen der Hof fernblieb, von Iffland, Beethoven, Kleist und Caroline Jagemann, dem Star unter den Mimen, ebenso von all den Ärgernissen, Intrigen, Machtkämpfen und Erfolgen. In den 90er Jahren, zum Glück, kam Schiller. Er half mit, dem kleinen Theater Bedeutung zu verschaffen. Die Premiere von »Wallensteins Lager« im Oktober 1798 wurde ein Ereignis. Man hat es nicht nur im kleinen Fürstentum wahrgenommen. Bis 1817 hielt Goethe allen Ärgernissen und Misshelligkeiten stand. Dann setzte sich Caroline Jagemann, die Nebenfrau des Herzogs, durch und trat mit dressiertem Hund auf die Bühne. Goethe hatte die Querelen nun endgültig satt. Er ...

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