Türkei will Rechte der Minderheiten stärken

Europäischer Gerichtshof erzwingt Rückgabe von enteignetem Eigentum

  • Jan Keetman, Istanbul
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.

Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg über die Rückgabe zweier enteigneter Liegenschaften an eine Schule der griechischen Minderheit setzt die Türkei nun unter Druck, ihr Stiftungsrecht zu ändern. Wahrscheinlich müssen hohe Entschädigungen gezahlt werden.

In ihrer Entscheidung stellten die Straßburger Richter einen Verstoß gegen das Recht auf Eigentum fest. Kläger war ein griechisches Gymnasium im Istanbuler Stadtteil Fener. Dem Gymnasium waren 1952 und 1958 zwei Immobilien in anderen Stadtteilen geschenkt worden. 40 Jahre später wurde die als Stiftung geführte Schule auf Antrag des Finanzministeriums aus formalrechtlichen Gründen enteignet. Nach der Entscheidung aus Straßburg müssen die Immobilien nun zurückgegeben werden, oder der türkische Staat muss 890 000 Euro Entschädigung zahlen. Außerdem verlangen die Richter eine Änderung des türkischen Stiftungsrechtes. Dieses wurde im Herbst auf Druck der EU bereits reformiert. Die Reform sieht auch die Möglichkeit der Rückgabe von enteignetem Eigentum vor, allerdings nur, wenn sich die Immobilie noch in Staatsbesitz befindet, nicht wenn der Staat sie bereits weiterverkauft hat. Selbst dieses von den Minderheiten aus verschiedenen Gründen kritisierte Gesetz wurde noch von Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer in großen Teilen durch ein Veto gestoppt, weil es angeblich Privilegien schafft. Mit seinem wegweisenden Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nun die Eigentumsrechte nicht-muslimischer Minderheiten in der Türkei gestärkt Der stellvertretende Premier Mehmet Ali Sahin versprach eine Nachbesserung des Stiftungsgesetzes. Es soll erstmals auch die Möglichkeit einer Entscheidung für vom Staat weiterveräußerte Immobilien einschließen. Das dürfte teuer werden. Nach Angaben Sahins gibt es nur noch 152 enteignete Immobilien, die sich im Staatsbesitz befinden. Die Zahl der weiterverkauften dürfte wesentlich höher liegen. Dies betrifft insbesondere viele Gebäude in Istanbul in zentraler Lage, wo die Grundstückspreise in den vergangenen Jahren geradezu explodiert sind. Der Prozess um die Immobilien des Gymnasiums hat noch eine besondere Note. In einem der Gebäude hat nämlich die linksnationalistische Arbeiterpartei (IP) von Dogu Perincek ihr Istanbuler Hauptquartier aufgeschlagen. Die IP ist einfach in das Gebäude gezogen, und die Behörden lassen Perincek gewähren. Dogu Perincek ist in den letzten Jahren vor allem durch seine Kampagnen gegen die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern aufgefallen. In der Schweiz hat man wegen der Leugnung des Völkermordes gegen ihn ermittelt. Eine von ihm mitorganisierte Demonstration in Berlin wurde verboten. Für Perincek ist der Vorwurf des Völkermordes nichts anderes als eine »internationale Verschwörung«. Zu der Straßburger Entscheidung sagte der IP-Chef jetzt nur trotzig: »Was ist der Internationale Gerichtshof für Menschenrechte? Dessen Entscheidungen gelten in der Türkei nicht.« Dogu Perincek sollte es aber besser wissen. Vor anderthalb Jahren sprach ihm nämlich dasselbe Gericht 16 790 Euro Entsc...

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