Artenschwund trotz Artenschutz

UN-Konferenz in Cancún: Staaten wollen umweltschädliche Subventionen abbauen

  • Lesedauer: 3 Min.

Trotz globaler Artenschutzziele gibt es durch intensive Land- und Forstwirtschaft sowie durch vielerorts massive Überfischung der Meere auch Rückschritte. Eine UN-Konferenz sucht nach Besserung.

Von Christian Mihatsch, Basel

Die Erde ist zu klein: Derzeit wären 1,6 Erden erforderlich, um den Bedarf der Menschheit an Nahrung, sauberem Wasser, sauberer Luft und einem stabilen Klima zu decken. Kurzfristig ist diese Überbeanspruchung des Naturkapitals durch die Menschen möglich. Doch irgendwann ist der Kapitalstock aufgebraucht. Bei der Zahl der Tiere nähert sich die Erde bereits einer bedrohlichen Wegmarke: Die Umweltorganisation WWF erwartet, dass im Jahr 2020 zwei Drittel weniger Tiere leben als 50 Jahre zuvor. Dieser Schätzwert beruht auf der Zählung der Populationen von über 3500 Arten an Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien. Hauptgrund für den Rückgang ist meist der Verlust an Lebensraum. Bei Fischen dominiert die Überfischung.

Wie der Raubbau gestoppt werden kann, diskutieren die Mitgliedsländer der 1992 verabschiedeten UN-Artenschutzkonvention (CBD) seit dem Wochenende in Cancún (Mexiko). Bei der Konferenz, die auf Arbeitsebene bis zum 17. Dezember läuft, geht es auch um den Fortschritt bei der Erreichung der 2010 in Japan beschlossenen Aichi-Ziele: Sie besagen, dass 17 Prozent der Landmasse und zehn Prozent der Ozeane unter Schutz gestellt werden - bis 2020. Die Ziele sind in Griffweite: 15 Prozent der Landfläche (ohne Antarktis), zehn Prozent der Territorialgewässer und vier Prozent der Hochsee stehen unter Schutz. Probleme bereitet aber das Management der Schutzgebiete, sagt Erik Solheim, Chef des UN-Umweltprogramms UNEP: »Die riesigen Fortschritte im letzten Jahrzehnt hinsichtlich der Zahl und Größe der Schutzgebiete müssen nun durch Verbesserungen der Qualität ergänzt werden.«

Wie wichtig der Artenschutz für das Wohlergehen der Menschheit ist, zeigen Bienen und andere Bestäuber. Sie sind für fünf bis acht Prozent der globalen Nahrungsmittelproduktion verantwortlich und »erwirtschaften« einen Mehrwert von 235 bis 577 Milliarden Dollar pro Jahr, wie ein neuer Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES zeigt. Der Bestand an Bestäubern geht aber weltweit zurück. In Europa ist die Zahl der Bienen um 37 Prozent und die der Schmetterlinge um 31 Prozent gesunken. »Die wachsende Gefährdung von Bestäubern, die eine wichtige Rolle bei der Nahrungssicherheit spielen, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie stark unser Schicksal mit dem der Natur verwoben ist«, so Solheim.

Bei einem Umweltministertreffen wurde bereits eine sechsseitige »Cancún-Erklärung« verabschiedet, die den Artenschutz im Regierungshandeln verankern und Fehlanreize stoppen soll. Zum Schutz der Arten- und Pflanzenvielfalt wollen die Länder fehlgerichtete Subventionen in Landwirtschaft und Fischerei abbauen.

Das ist nötig, wie auch ein Blick auf den Zustand der Korallenriffe, der die »Kinderstube« vieler Fischarten, zeigt. 2015 und 2016 wurden die Riffe durch die bislang längste gemessene Korallenbleiche dezimiert - für 2017 sind weitere Verluste prognostiziert. Welche Folgen die langdauernde Schädigung hat, ist unklar, sagt Nick Graham von der Universität Lancaster: »Das 2015/2016-Ereignis hat viele Korallen-Wissenschaftler schockiert. Wenn sich das nächstes Jahr fortsetzt, sind wir in unerforschtem Gebiet.« Auch hier steht viel Geld auf dem Spiel: Der Nutzen von Korallenriffen für Tourismus, Fischfang und Küstenschutz wird auf 30 Milliarden Dollar geschätzt.

Die Aichi-Ziele seien »bei weitem nicht genug«, selbst wenn sie umgesetzt würden, sagt der Biologe Edward Wilson von der Harvard-Universität. Er fordert, dass die halbe Welt unter Schutz gestellt wird. »Menschen verstehen Ziele«, schreibt er in seinem neuen Buch »Half-Earth«. »Sie brauchen einen Sieg und nicht nur die Nachricht, dass Fortschritt erzielt wird. Es liegt in unserer Natur, große Ziele anzustreben, die vielleicht schwer zu erreichen sind, dafür aber entscheidend und von universellem Nutzen.« Der Schutz der eigenen Art durch den Schutz aller anderen könnte ein solches Ziel sein.

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