nd-aktuell.de / 07.12.2016 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 3

Eigentum schützt vor Abschaltung nicht

Verfassungsgericht fällt wichtiges Urteil zur Frage von Enteignung, Sozialpflichtigkeit und Gemeinwohl

Kurt Stenger

Die Karlsruher Verfassungsrichter sind offenbar Atomkraftgegner. Zumindest liest sich ihr Urteil zu den Klagen der AKW-Betreiber in Teilen wie eine Abrechnung mit dieser gefährlichen, zu Recht vor dem Aus stehenden Stromerzeugungsform: Mit dem beschleunigten Atomausstieg nach dem Dreifach-GAU von Fukushima im März 2011 »wurde eine Risikominderung von ganz erheblichem Ausmaß erreicht«, heißt es in der Begründung. Es sei »legitimes Regelungsziel«, das mit der Kernenergienutzung verbundene Restrisiko »nach Zeit und Umfang zu minimieren und so Leben und Gesundheit der Bevölkerung und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen«, so die Richter.

Natürlich geht es in dem am Dienstag gefällten Urteil nicht um das Für und Wider der Atomkraft, aber die Entscheidung ist ohne diese Bewertung kaum zu verstehen. Das Resümee der Karlsruher Richter lautet: Der Atomausstieg hat sich »im Grundsatz als vereinbar mit dem Grundgesetz erwiesen«. Die verfassungsrechtlich zu beanstandenden Defizite der Atomrechtsnovelle von 2011 betreffen »nur Randbereiche«. Mit anderen Worten: Die Atomkonzerne sind mit ihren Schadenersatzklagen weitgehend gescheitert. 19 Milliarden Euro wollten sie für die verkürzten Laufzeiten ihrer Meiler haben, sie werden nur einen Bruchteil davon bekommen.

Das Wichtigste am Urteil: Die Richter halten den Atomausstieg mit festen Abschaltterminen für keinen unzulässigen Eingriff in Eigentumsrechte. In Sachen AKW habe der Gesetzgeber einen »besonders weiten Gestaltungsspielraum«, denn es handle sich wegen der genannten Risiken um »Eigentum mit einem besonders ausgeprägten sozialen Bezug«. Grundsätzlich gilt: Aufgrund seiner Sozialpflichtigkeit kann Eigentum sogar entschädigungslos entzogen werden, wenn dies aus Gründen des Gemeinwohls und nicht zum Zwecke der Güterbeschaffung des Staates erfolgt. Das war beim Atomausstieg der Fall.

Allerdings bleiben aus Karlsruher Sicht Schutzrechte, gegen die Bundesregierung und Gesetzgeber in Details verstoßen haben. Und hier wird es etwas kompliziert, da gleich drei Atomrechtsnovellen eine Rolle spielen. Im Jahr 2002 hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung mit Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) erstmals einen Atomausstieg beschlossen; er gab den Betreibern eine noch zu produzierende Reststrommenge vor, die diese auf ihre Kraftwerke verteilen konnten. Nach deren Verbrauch sollten sie sofort stillgelegt werden. Ende 2010 gewährte die schwarz-gelbe Regierung den Konzernen zusätzliche Reststrommengen, die auf eine Laufzeitverlängerung um rund zwölf Jahre hinausliefen. Wenig später kam die Katastrophe von Fukushima und mit ihr die Kehrtwende von Kanzlerin Angela Merkel: Acht AKW wurden sofort stillgelegt, für die anderen neun erstmals feste Endtermine beschlossen. 2022 sollen im letzten Meiler die Lichter ausgehen.

Die Atomkonzerne forderten Schadenersatz und begründeten dies unter anderem damit, dass ihnen die Bundesregierung zuvor eine Laufzeitverlängerung zugesichert habe. Für die gegenüber dem Gesetz von 2010 wegfallenden Strommengen forderten sie Entschädigung. Diese Forderung wies Karlsruhe jetzt zurück, denn die Rücknahme der Zusatzmengen sei von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums gedeckt. Sollten die Konzerne allerdings im Vertrauen auf längere Laufzeiten Investitionen getätigt haben, hätte der Gesetzgeber einen gewissen »Ausgleich« regeln müssen, was er unterließ. Hier muss die Atomnovelle nun bis 2018 nachgebessert werden. Wegen des kurzen Zeitraums bis zur Rücknahme der Verlängerung dürften aber so gut wie keine Investitionen getätigt worden sein, so dass es hier allenfalls um Peanuts geht.

Anders sieht dies in der Frage der Reststrommengen des Gesetzes von 2002 aus, für die Karlsruhe einen Vertrauensschutz ansieht. Zwei der vier Atomkonzerne in Deutschland - RWE und Vattenfall - werden ihre Mengen bis zum Ende der jetzt gültigen Laufzeiten nicht erreichen. Es handelt sich um eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung gegenüber den beiden Konkurrenten E.on und EnBW, die dies schaffen. Hier werden Entschädigungen fällig: in Form von Geld oder einer Laufzeitverlängerung für einzelne AKW der beiden Betreiber, um die ungenutzten Reststrommengen noch zu verwerten.

Auch hier geht es nicht um ganz große Beträge: Die Anti-Atom-Organisation »ausgestrahlt« geht von einer dreistelligen Millionensumme aus. Das Umweltinstitut München meint zwar, dass es mehr werden könnte, allerdings sollte der Staat dann einfach die Einzahlung der Konzerne in den Fonds für die Atommülllagerung erhöhen. Aus Gründen des Gemeinwohls ist dies ohnehin geboten.