Hungern gegen Hartz IV

Streit um Heizkosten und Ein-Euro-Job - Arbeitsloser aus dem Harz isst seit sechs Wochen nicht

Rüdiger S. geht es noch einigermaßen gut. »Ich fühle mich normal«, sagt er. Zwar habe er 15 Kilogramm Gewicht verloren, »aber sonst habe ich bislang noch keine größeren gesundheitlichen Probleme«. Seit sechs Wochen ist der 54-jährige Arbeitslose und Arbeitslosengeld-II-Empfänger aus dem 1000-Einwohner-Ort Wieda im Südharz im Hungerstreik. Gegen Hartz IV. Und gegen den Landkreis Osterode, der die Heizkosten für seine Wohnung nicht in vollem Umfang übernehmen will. Bei der Wohnung handelt es sich um ein schlecht isoliertes Fachwerkhaus mit rund hundert Quadratmetern Wohnfläche. S. hat das Haus 1988 gekauft, er bewohnt es allein. Rund 150 Euro im Monat würde es kosten, alle Räume einigermaßen warm zu bekommen, sagt er. Das Jobcenter im Kreis Osterode zahlt nur knapp die Hälfte davon, 77 Euro. Damit kriegt S. »gerade mal mein Bad warm«. In dem knapp sechs Quadratmeter kleinen Raum hält sich der Arbeitslose denn auch meistens auf. Hier liest er, schreibt Eingaben, telefoniert mit der Presse. Auf einem Tischchen neben dem Waschbecken steht der Computer. 77 Euro seien angemessen, sagt hingegen der Osteroder Kreisrat Gero Geißlreiter. Die Behörde hat auch vorgeschlagen, dass Rüdiger S. seinen Hund abschafft, um Tierarztrechnungen und Hundefutter einzusparen. Hartz-IV-Empfänger haben in der Regel Anspruch auf einen Zuschuss zu den Heizkosten. Der wird allerdings pauschal festgelegt und richtet sich nicht nach dem Bedarf. Rüdiger S. verweist aber auf ein Urteil des Bundessozialgerichtes. Danach müssen die Leistungsträger bei selbst bewohntem Eigentum die tatsächlichen Kosten der Unterkunft übernehmen. Gesetzlich geregelt ist die Frage aber noch nicht. Rüdiger S ist bereits seit 1998 arbeitslos. Davor, erzählt er, hat er als »Kalfaktor« in verschiedenen Asylbewerberheimen in Niedersachsen gearbeitet. Nachdem er seinen bislang letzten Job verlor, bekam er zunächst Arbeitslosengeld, dann Arbeitslosenhilfe. Seit Anfang 2005 gibt es Hartz IV - 345 Euro und eben den in der Höhe strittigen Zuschuss für Heizkosten. Ende 2006 bot der Kreis Osterode S. einen Ein-Euro-Job an, als Webdesigner bei der Samtgemeinde Walkenried. Das hätte S. schon gerne gemacht. Allerdings als reguläre, sozialversicherungspflichtige Tätigkeit, »aber nicht als Lohndrücker«. Wenn er nicht die vollen Heizkosten für sein Haus bekomme, wollte er sich erst recht nicht für einen Euro pro Stunde verdingen. S. lehnte das Angebot also ab. Das Osteroder Jobcenter zog die Schrauben an. Es drohte, den Regelsatz für Rüdiger S. um 30 Prozent zu kürzen. Der trat daraufhin in den Hungerstreik und kündigte zudem an, ab Weihnachten auch nichts mehr zu trinken. »Dann wäre er nach wenigen Tagen in eine lebensbedrohliche Lage gekommen«, räumte der Landkreis später ein. Auf Initiative des Erwerbslosen-Forums Deutschland schaltete sich der Berliner Politikprofessor Peter Grottian als Vermittler in den eskalierenden Konflikt ein. Er erreichte auch eine Absprache zwischen den Beteiligten: Kein Durststreik - dafür setzt das Jobcenter die angedrohte Sanktion aus und prüft den Heizkostenbescheid. Zudem will sich die Behörde noch mal richtig ins Zeug legen, um S. einen regulären Job zu vermitteln. Doch passiert ist seitdem gar nichts, klagt S. gegenüber dem ND. Immerhin gebe es in dieser Woche einen neuen Gesprächstermin. Den Hungerstreik will Rüdiger S. weiterführen. Es gehe ihm dabei nicht nur um seine eigene Lage, sondern um den »gesellschaftlichen Skandal, dass ein Mensch nicht von 345 Euro leben kann«. Der Vizechefin der Linkspartei, Katja Kipping, sagte S. in der vergangenen Woche: »...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.