»Horch und Guck« kämpft ums Überleben

Stiftung Aufarbeitung will Oppositionszeitung den Geldhahn zudrehen

  • Anke Engelmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor 17 Jahren besetzten Bürgerrechtler die Berliner Stasi-Zentrale. Die Zeitschrift »Horch und Guck«, herausgegeben vom Bürgerkomitee 15. Januar, erinnert nicht nur mit ihrem Namen an dieses Ereignis. Jetzt droht ihr das Aus.
Bleilastige Aufarbeitungslektüre: Die Zeitschrift »Horch und Guck« erinnert an ein Samisdat aus DDR-Zeiten. Seit 1992 befasst sich die »Historisch-literarische Zeitschrift«, wie es im Untertitel heißt, mit der Geschichte der Bürgerbewegungen und der Diktaturen in Osteuropa, vor allem der in der DDR. Schwerpunkt dabei: Geheimdienste und Staatssicherheit. Jetzt droht dem Blättchen das Aus: Die Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur, die das Blatt seit 1998 finanziert, droht, den Geldhahn zuzudrehen. Die Zeitschrift habe »in den vergangenen Jahren zunehmend an Qualität, Themenvielfalt, Pluralismus, Relevanz und Verbreitung verloren«, so die Stiftung in ihrem Bescheid. »Wir haben die "Horch und Guck" über die Jahre mit großem Wohlwollen begleitet«, sagt Robert Grünbaum, stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung. Nachdem jedoch im vergangenen Jahr ein von der Stiftung geforderter Beirat, der eine Erneuerung einleiten sollte, geplatzt war, zog die Stiftung die Konsequenzen. Zu inhaltlichen Querelen kamen Kommunikationsprobleme und verletzte Eitelkeiten. Dem von »Horch und Guck« selbst ausgesuchten Gremium gehörten prominente Vertreter der Aufarbeitungsszene an, so der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, der Theologe und frühere BStU-Mitarbeiter Ehrhart Neubert, die ehemalige Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen von Sachsen-Anhalt, Edda Ahrberg sowie die Historiker Carlo Jordan, Stefan Wolle und Renate Hürtgen. Während jedoch die einen die »Horch und Guck« als streng wissenschaftliche Historikerpublikation profilieren wollten, sahen die anderen in der einzigartigen Mischung aus wissenschaftlichen Texten, persönlich gefärbten Zeitzeugenberichten, Originalfotos, und -dokumenten die Stärke der Zeitschrift. Die sechsköpfige Redaktion, die bis auf den Historiker Dirk Moldt ehrenamtlich arbeitet, wollte sich nicht in ihre Arbeit hineinreden lassen. »Es gab immer Spannungen, manche Kritiken waren sehr unqualifiziert«, so Moldt. Nach kurzer Zeit schmissen Kowalczuk, Neubert und Ahrberg die Sache hin. Die Ausgaben, die sich mit Themen wie der Westarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit, Boheme, Nazis in der DDR, Ritualen in der DDR-Bürgerbewegung oder Sport und Doping beschäftigten, waren in der Qualität unterschiedlich. Hin und wieder gelang der Redaktion ein großer Wurf: So war das Heft über den Jenaer Matthias Domaschk, der unter ungeklärten Umständen in Stasi-Haft ums Leben kam, nach kurzer Zeit vergriffen. Auch die »Horch und Guck« zur Auslandsspionage wird von Historikern gelobt und zitiert. »Man kennt uns in der Szene "Neue Geschichte"«, sagt Moldt. Die Redaktion hat gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt. »Wir sind in einem laufendem Verfahren«, sagt Grünbaum. Man werde schauen, ob man gemeinsam eine Möglichkeit finde, dieses »wichtige Organ der Aufarbeitungslandschaft« zu erhalten. Und auch bei der »Horch und Guck« bemüht man sich um eine Lösung des Knotens: Für den 7. Februar haben Bürgerkomitee und Redaktion zu einer Leserkonferenz über Profil und Zukunft der Zeitschrift ins Berliner Haus der Demokratie eingeladen.
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