Berliner Appell für andere EU

Europäische Linkspartei fordert alternative Verfassung

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Tagung der Partei der Europäischen Linken (EL) mit rund 60 Vertretern aus fast allen EU-Mitgliedsländern, Moldawien, der Schweiz und der Türkei verabschiedete am Wochenende einen Berliner Appell für ein friedliches, soziales und demokratisches Europa.
Europa leidet an einem politischen Vakuum, das von der Durchsetzung neoliberaler Politik in nahezu allen Lebensbereichen herrührt, so die Zustandsbeschreibung durch die Europäische Linke am Wochenende in Berlin. Dem will sie ihren Widerstand und ihre eigenen Vorstellungen von Europas Zukunft entgegensetzen. Die EU wuchs weiter und zählt seit Jahresbeginn 27 Mitgliedstaaten. Dennoch steckt die Gemeinschaft unzweifelhaft in einer tiefen Krise: institutionell, weil die Verfassungsfrage nach den ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden auf Eis liegt, und vor allem hinsichtlich ihres Ansehens in den Bevölkerungen der Mitgliedsländer, die die EU-Gremien zunehmend als undurchschaubaren Moloch wahrnehmen, von dem sie besonders in sozialen Fragen nichts als Hiobsbotschaften zu erwarten haben. Auch Angela Merkel, als deutsche Kanzlerin jetzt EU-Ratsvorsitzende, will den europäischen Institutionen wieder zu mehr Vertrauen bei den Menschen verhelfen. Ihr vage formulierter Anspruch, den gescheiterten Verfassungsentwurf wieder beleben zu wollen, kann von der EL freilich nur als Drohung verstanden werden. Lothar Bisky, als Chef der deutschen Linkspartei erstmals Gastgeber des Rates der nationalen Parteivorsitzenden, machte denn auch klar, dass die Linke von Merkels Ratspräsidentschaft keinerlei Impulse für eine Demokratisierung der EU erwartet. Die EL formulierte in einem Berliner Appell klare Alternativen. Auch sie setzt eine EU-Verfassung auf die Tagesordnung - allerdings keine, die wie der bisherige Entwurf das neoliberale Dogma »einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« sanktioniert und damit EU-weitem Sozialabbau und Steuersenkungswettlauf den Weg bereitet, sondern eine, die eindeutig formulierte soziale Standards setzt und schützt. Vor allem verlangt die EL für einen neuen Anlauf im Verfassungsprozess eine demokratische Willensbildung - von der Teilhabe der Bürger der Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung bis zur Bestätigung der Verfassung durch Volksabstimmungen. Damit ist gleichzeitig eines der größten deutschen Demokratiedefizite benannt. Der Appell enthält weitere Forderungen an die deutsche Ratspräsidentschaft. So verlangt er ein Ende der Militarisierung der Außen- und Sicherheitspolitik der EU, eine Reduzierung des Waffenhandels sowie erkennbare Abrüstungsbemühungen. Auf dem Gebiet der Sozial- und Wirtschaftspolitik fordert die EL ein Ende der neoliberalen Binnenmarktpolitik, die immer mehr Menschen in Arbeitslosigkeit und nicht existenzsichernde Jobs zwingt. Das schließt europaweite Sozialstandards, Mindestlöhne, den Zugang zu unentgeltlicher Bildung und Berufsausbildung sowie Renten ein, die ein Leben in Würde ermöglichen. Gerade angesichts der aktuellen Diskussionen um die Sicherheit der Energieversorgung sieht die EL den Ausweg in einem gesamteuropäischen Ansatz, der sein Hauptziel eben nicht in der Privatisierung der Energiemärkte hat. Auch wenn in der Frage der Zukunft der Atomkraftwerke keine Einigkeit erzielt wurde, verlangt die EL eine stärkere Orientierung auf neue alternative Energiequellen, die die Belange des Umweltschutzes berücksichtigen. Gefordert wird eine Energiepolitik, die jegliche kolonialen und militärischen Komponenten ausschließt. Mit Blick auf die Wirtschaftsbeziehungen zur Dritten Welt erwartet die EL deutliche Zeichen für ein Umsteuern zu fairem internationalen Handel, einen diskriminierungsfreien Zugang von Waren und Dienstleistungen zum EU-Markt. Nicht Wettbewerb, sondern Zusammenarbeit und die Möglichkeit zur Entwicklung sollen die bestimmenden Elemente des Austauschs sein. All diese Forderungen reichen erkennbar deutlich über die halbjährige deutsche EU-Ratspräsidentschaft hinaus. Die Beratungsteilnehmer steckten ihren Handlungsrahmen denn auch schon bis zu den Europawahlen 2009 ab, in deren Vorfeld man ein gemeinsames Agieren anstrebt. Für den 9. bis 11. März lud Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, zu einer Konferenz »50 Jahre europäische Integration und ihre Zukunft« nach Berlin ein. Der nächste EL-Kongress wird im November in Prag stattfinden. Vielleicht gibt es bis dahin auch weiteren Zuwachs in der Europäischen Linkspartei. Jüngstes Mitglied wurde am Wochenende die Partei der Kommunisten Moldawiens. Die Partei der Europäischen Linken wurde am 8. Mai 2004 in Rom als Zusammenschluss von 15 Parteien, darunter die PDS, gegründet. Derzeit gehören der EL 18 Parteien an, 10 haben Beobachterstatus. EL-Vorsitzender ist Fausto Bertinotti, Präsident der italienischen Abgeordnetenkammer und Chef der Partei der Kommunistischen Neugründung Italiens.
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