Werbung

Nelken, Lieder und Debatten

Ehrung von Luxemburg und Liebknecht in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde

Zum 87. Todestag von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht strömten am Sonntag wieder Zehntausende zum Friedhof im Berliner Stadtteil Friedrichsfelde, um die 1919 von Freikorpsoffizieren ermordeten Arbeiterführer zu ehren. Zudem führte der traditionelle Demonstrationszug mit rund 10 000 Menschen vom Frankfurter Tor zur Gedenkstätte mit dem Mahnmal. Der gegenüber platzierte Stein zum Gedenken »Den Opfern des Stalinismus« fachte Diskussionen an.
Am U-Bahnhof Lichtenberg drängen sich sieben Blumenverkäufer. Seit sieben Uhr morgens schon statten sie die Ankömmlinge auf ihrem Weg zum Friedhof Friedrichsfelde mit Nelken aus, die zu Hunderten in Eimern bereit stehen. Entlang der Gudrunstraße haben Geschäftige kleine Stände vor ihren Läden aufgebaut und warten auf den Andrang. Weitere Blumen, Glühwein, Rostbratwurst und Brezeln. Was für die Verkäufer Arbeit bedeutet, ist für andere ein wichtiger Gedenktag oder eine Möglichkeit zum Aufruf oder zur Mahnung. So wie für Stefan Schütz vom Revolutionär Sozialistischen Bund (RSB). Der 26-jährige Berliner wirbt mit Flugblättern und Zeitungen für den zur IV. Internationale gehörenden RSB mit 100 Mitgliedern bundesweit und fünf in der Hauptstadt. »Der Kommunismus von heute trägt seine Kämpfe in und gegen Gewerkschaften aus«, sagt Schütz. Er ist zum vierten Mal beim stets am zweiten Sonntag im Januar stattfindenen Gedenken dabei. »Bei der LL-Demo kann man wenigstens ein paar Bücher verkaufen.« Auf dem letzten Stück der kleinen Straße vor dem Friedhof reihen sich Stände aneinander. Es werden Zeitungen verteilt wie »Roter Morgen«, »Bolschewik«, »Der Funke« oder »Aufstand«. Spenden werden gesammelt - zum Beispiel für den Erhalt der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte in Hamburg oder für einen in Berlin inhaftierten Antifaschisten. »Die Toten mahnen uns«, steht auf dem Mahnmal im Zentrum der Gedenkstätte. »Die Toten mahnen gegen Krieg und Faschismus«, betont Hans Modrow, der zum 50. Mal an der Ehrung von Liebknecht und Luxemburg teilnahm. Liebknecht sei wegen seiner Anti-Kriegshaltung hoch aktuell, sagt der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Oskar Lafontaine. Angesichts völkerrechtswidriger Kriege in Irak und Afghanistan verweist Lafontaine auf die »pazifistische Haltung der Arbeiterbewegung«. Rosa Luxemburg stehe für »Demokratie und Sozialismus«. Am Eingang zum Friedhof, neben drei Mädchen und zwei Jungen, die unermüdlich FDJ-Lieder singen, sammelt die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Unterschriften gegen den Gedenkstein mit der Aufschrift »Den Opfern des Stalinismus«. Der Stein ist hier kürzlich aufgestellt worden und erregt seitdem die Gemüter. »Mit Antikommunismus lässt sich Faschismus nicht bekämpfen«, heißt es auf einem DKP-Transparent. Am Gedenkstein liegen schon länger zwei Kränze von der Berliner SPD und von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Viele, die zur Ehrung von Karl und Rosa gekommen waren, treibt die Neugier zu diesem Stein. Einige legen auch hier Nelken nieder. So Halina Wawzyniak, stellvertretende Vorsitzende der Berliner Linkspartei, die sich dafür aus der Gruppe um Oskar Lafontaine und Lothar Bisky löst, bevor diese Gruppe am Mahnmal anlangt.
LL-Demo
Mit Erde beworfen: Der Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus
Nelken dorthin bringen später noch Dagmar Enkelmann, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, und die Berliner Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher, während andere Prominente zumeist mit Abstand vorbeiziehen. Einige betonen, heute gehe es um Karl und Rosa. Der Landesvorsitzende der Berliner Linkspartei, Klaus Lederer, legt seine drei Nelken am Mahnmal ab. Den umstrittenen Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus habe er dabei ganz vergessen, sagt Lederer. Er finde es schade, dass eine ausführliche Diskussion vor der Aufstellung des Steins versäumt wurde. Andererseits seien Forderungen, den Stein nun wegzuräumen, »unerträglich«. Inzwischen nähert sich der Demonstrationszug dem Friedhof. Angeführt wird er von Mitgliedern der DKP mit einem Spruchband »Karl und Rosa nicht vergessen - Aufstehen und widersetzen«. Kampfeslieder singend, folgen Gruppierungen wie die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD). Auch Sozialisten aus Chile, Polen und Portugal laufen mit, ebenso Mitglieder des Linkspartei-nahen Jugendverbandes solid, die »Bildung rauf, Rüstung runter« rufen und sich dazu passend strecken und bücken. Derweil wird am Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus diskutiert. Egon Krenz zeigt sich »bewegt, dass der Stein spaltet«. Bei allen Bedenken, an wen hier tatsächlich erinnert werde - die Opfer des Stalinismus müssen geehrt werden, meint Krenz. Die 55-jährige Barbara Zirnstein aus Erkner kann die ganze Aufregung nicht verstehen. Ihrer Ansicht nach gehört der Stein an diese Stelle. Für Zirnstein ist es nicht entscheidend, ob die Opfer des Stalinismus Kommunisten waren oder nicht. Der 74-jährige Hubert Marzahn glaubt, dieser Stein hätte schon in den späten DDR-Jahren gesetzt werden müssen. Die Gespräche bleiben bis dahin ruhig und friedlich, werden oft auch sehr sachlich geführt. Zwischendurch ist der Gedenkstein komplett von Nelken bedeckt, doch schließlich weht ein heftiger Windstoß und die Inschrift ist wieder zu lesen. Dann kommt der Demonstrationzug an. Jetzt fliegen Eier und Erde, Blumen werden weggerissen und zertrampelt. Nachdem sich die Aufregung gelegt hat, wird aufgeräumt. Unversehrte Nelken gelangen zurück auf den Stein.
#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal