Italien: Wirkungslose Urteile gegen SS-Mörder

Deutsche Justiz wäre jetzt gefordert, doch ihr rechtsstaatliches Handeln ist nicht zu erwarten

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Ein Militärgericht im norditalienischen La Spezia hat am Sonnabend zehn deutsche Ex-SS-Angehörige zu lebenslanger Haft verurteilt. Die in Deutschland lebenden Mörder werden ihre Strafen erfahrungsgemäß nicht antreten müssen.
Berlin (ND-Heilig). »Endlich hat die Gerechtigkeit gesiegt. Seit Jahrzehnten warten wir auf dieses Urteil«, zitiert die italienische Nachrichtenagentur ANSA ein Mitglied des Verbands der Angehörigen der Marzabotto-Opfer. Doch diese Gerechtigkeit steht nur auf dem Papier. Die Urteile im seit April laufenden Prozess wurden in Abwesenheit der Angeklagten ausgesprochen. Die zehn Männer sowie weitere sieben ehemalige SS-Soldaten, die freigesprochen wurden, waren wegen eines Massakers in Norditalien angeklagt. Bei einer angeblichen Partisanenjagd waren zwischen dem 29. September und dem 5. Oktober 1944 in Marzabotto und in den benachbarten Ortschaften Grizzana und Monzuno 955 unbeteiligte Einwohner von SS- und hinzugezogenen Wehrmachts-Angehörigen ermordet worden. Bei den Angeklagten handelt es sich um Deutsche zwischen 81 und 88 Jahren. Da die Bundesrepublik jedoch keine Staatsbürger ausliefert, müsste die deutsche Justiz selbst sich der Fälle annehmen, von den italienischen Kollegen Akten erbitten, recherchieren, Anklagen erheben und Urteile sprechen. Das aber wird vermutlich nicht geschehen. Im Prozess um ein weiteres Nazi-Massaker in Italien hatte das Militärgericht in La Spezia am 22. Juni zehn ehemalige deutsche SS-Soldaten ebenfalls in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Bei dem Verfahren ging es um die Ermordung von 560 Zivilisten im August 1944 in der toskanischen Gemeinde Sant'Anna di Stazzema. Den Verurteilten trat hierzulande keine Behörde zu nahe. Auch im Falle der Abschlachtung von 5200 italienischen Soldaten, die sich auf der griechischen Insel Kephallonia den Alliierten 1943 ergeben hatten, geschah den noch lebenden ehemaligen Gebirgsjägern nichts. Doch Jahr für Jahr huldigt man zu Pfingsten unter anderem in Mittenwald den »heldenhaften« deutschen Gebirgsjägern im Nazi-Rock. Jahrelang ermittelten deutsche Staatsanwälte gegen zwei mutmaßlich an der Racheaktion Beteiligte. Im Sommer 2006 wurden die Nachforschungen in München eingestellt, ein Oberstaatsanwalt konnte in der Tötung der italienischen Soldaten keine grausame Absicht erkennen. Da es somit von Amtswegen kein Mord war, sind die Taten verjährt. Im Falle Marzabotto hat lediglich der damalige SS-Obersturmbannführer Walter Reder, der den Befehl zum Gemetzel gegeben hatte, Gefängnismauern von innen gesehen. Ein Militärgericht in Bologna hatte den aus Wien Stammenden bereits 1951 zu lebenslanger Haft verurteilt. Die katholische Kirche kümmerte sich rührend um seine Freilassung. Die erfolgte 1985. Der SS-Offizier wurde vom damaligen österreichischen Verteidigungsminister Frischenschlager (damals FPÖ) mit Handschlag begrüßt. Pensionär Reder starb 1991 75-jährig in einem Krankenhaus in Wien.
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