Sachsen: Neonazi für Anschlag auf Justizminister verhaftet

Tatverdächtiger wollte eigentlich eine linke Wohngemeinschaft treffen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Für die sächsische CDU standen die Verantwortlichen für den Anschlag auf das Leipziger Wohnhaus von Justizminister Sebastian Gemkow im November 2015 von Anfang an felsenfest: »Gewaltspirale stoppen. Linksextremisten erobern immer mehr Stadtraum. Nicht wegsehen! Handeln!«, zürnte CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer damals auf Twitter. Auch für den sächsischen Verfassungsschutz passte die Tat ins eigene Weltbild: »Die Vorgehensweise und das Zielobjekt des Anschlags sprechen für einen linksextremistischen Hintergrund der Tat«, so Falk Kämpf, Sprecher der Geheimdienstler im Frühjahr dieses Jahres gegenüber der »Leipziger Volkszeitung«.

Was war passiert? In der Nacht des 24. Novembers 2015 flogen erst Pflastersteine und anschließend ein Behälter mit Buttersäure in die Erdgeschosswohnung Gemkows. Warum sich angeblich Linksradikale den Justizminister als Anschlagsziel ausgesucht haben sollten, war für den Verfassungsschutz völlig ersichtlich: »Zum einen sehen Linksextremisten in dem Sächsischen Staatsminister der Justiz einen Repräsentanten des verhassten ‚Repressionsapparates‘. Darüber hinaus ist er Mitglied der CDU, die – wie andere demokratische Parteien auch – als eines der Ziele im Leipziger ‚Aufruf zur Gewalt‘ vom 17. Dezember 2014 genannt wurde«. Ein auch in der linken Szene heftig umstrittener (ein Jahr alter) Brief, zusammengerührt mit einem verkürzten Bild über Staatskritik – fertig war das politische Feindbild.

Mehr als ein Jahr nach dem Anschlag kommt nun heraus: Sachsens CDU und der Verfassungsschutz waren auf dem Holzweg. Bei einem der zwei Tatverdächtigen handelt es sich um einen polizeibekannten Neonazi. Thomas K., in der Hooligan-Szene des 1. FC Lok Leipzig aktiv, ist kein unbeschriebenes Blatt. Der heute 29-Jährige war nach Angaben von »tag24.de« im Mai 2008 an einem Überfall vermummter Neonazis auf einen Bus beteiligt, in dem Besucher eines antirassistischen Konzertes saßen. Für die Tat bekam K. zwei Jahre auf Bewährung.

An dieser Stelle wird es für den Verfassungsschutz doppelt peinlich: Als der Rechtsradikale und eine weitere Person vor wenigen Wochen als Tatverdächtige ermittelt wurden, teilte die Behörde zunächst mit, beide Personen seien bisher nicht »als politische Extremisten aufgefallen«.

Doch warum hatte es ein Rechtsradikaler auf den sächsischen CDU-Justizminister abgesehen? Die vermutliche Antwort lässt den Fall endgültig ins Absurde abgleiten: Vermutlich wollte Neonazi Thomas K. gar nicht Justizminister Gemkow treffen. Wie »tag24.de« berichtet, galt der Anschlag eigentlich einer im Nachbarhaus lebenden linksalternativen Wohngemeinschaft. Soll heißen: Die Nazis haben sich womöglich einfach nur in der Tür geirrt.

»Wenn sich die Angaben bestätigen, ist das ein Paukenschlag – und ein weiteres peinliches Zeugnis für Sachsens Innenminister Markus Ulbig«, sagte die LINKEN-Abgeordnete Kerstin Köditz. Schon kurz nach dem Anschlag seien die Mutmaßungen über die Täter »ins Blaue hinein« erfolgt, so die Expertin für Rechtsextremismus. Als Antwort auf eine Anfrage der LINKEN musste das sächsische Innenministerium schon vor Monaten einräumen, keinerlei Belege für die These von den linksradikalen Tätern zu haben. »Natürlich erwarte ich, dass die falschen Behauptungen widerrufen werden – und dass Sicherheitsbehörden nicht zu Gerüchteküchen verkommen«, so Köditz.

Danach sieht es allerdings bisher nicht aus: CDU-Generalsekretär Kretschmer erklärte am Samstag via Twitter, »die Aussage ist immer noch richtig«. Parlamentarisch hat die Angelegenheit ein Nachspiel: Köditz hat im Landtag bereits eine neue Anfrage zu den Hintergründen des Anschlags eingereicht. Darin fragt sie auch, ob das Innenministerium und der Verfassungsschutz die Behauptung widerufen, die Gewalt der Leipziger Antifa erreiche »eine neue Dimension«.

In der Praxis hatte die Einschätzung konkrete Konsequenzen für die linke Leipziger Szene. Weil ihr der Anschlag auf Gemkow angelastet wurde, hatte die Stadt mehrere geplante Demonstrationen im alternativen Stadteil Connewitz rund um Silvester 2015 verboten.

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