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Üben für die Machtübernahme

Der Front National regiert schon elf Städte Frankreichs - seine Politik treibt seltsame und besorgniserregende Blüten

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Hilfsorganisation Secours populaire im elsässischen Hayange steht im Dunkeln. Bürgermeister Fabien Engelmann von der rechtsextremen Front National (FN) hat die Stromversorgung kappen lassen, um die verhasste »linkslastige« Organisation aus dem seit 1978 genutzten gemeindeeigenen Gebäude zu vertreiben. Unmittelbare Leidtragende sind die 800 einkommensschwachen Einwohner, davon 300 Kinder, die hier regelmäßig Lebensmittelspenden abholen konnten.

»Der Secours populaire in Hayange ist linkextrem unterwandert und wird durch Kommunisten geleitet. Er greift die Stadtverwaltung an und betreibt Propaganda zugunsten illegaler Ausländer«, erklärt der Bürgermeister. »Wir werden ihn durch eine andere Organisation ersetzen.« Am liebsten wäre ihm die 1987 von der FN-Europaabgeordneten Mireille d'Ornano in Toulon gegründete Gegenorganisation Fraternité française. Doch die ist nie aus den Kinderschuhen herausgekommen und besteht heute nur noch auf einer Internetseite. So hat Engelmann erst einmal demonstrativ 2000 Euro aus der Stadtkasse der Hilfsorganisation Secours catholique gespendet.

Schweinefleisch-Fetisch

Dass Hayange seit Schließung der Kohlegruben und dem Niedergang der Stahlindustrie in Lothringen zu den »sozialen Problemzonen« mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit und Armut gehört und daher ein Fall für Hilfsorganisationen ist, kann auch der FN-Bürgermeister nicht leugnen. Doch sein Hauptkriterium ist auch bei der Hilfe für Arme die von seiner Partei propagierte »nationale Priorität«, also die Ausgrenzung von Ausländern.

Seine Fremdenfeindlichkeit hat ihn sogar so weit gebracht, mit einem »Fest des Schweins« dieses angeblich für die nationale Identität so wichtige Tier zu feiern und damit bewusst die muslimischen Einwohner vor den Kopf zu stoßen, deren Glaube den Genuss von Schweinefleisch verbietet. Wie in zahlreichen anderen FN-geführten Städten wird in Hayange bei der Schulspeisung kein vegetarisches Gericht mehr als Alternative angeboten, wenn ein Gericht mit Schweinefleisch auf dem Speiseplan steht. Hayange ist also kein Einzelfall, sondern hat System.

Bei den Kommunalwahlen 2014 hatte der rechtsextreme Front National in elf kleinen und mittelgroßen Städten Frankreichs so viele Stimmen erhalten, dass sie die Mehrheit im Stadtrat und den Bürgermeister stellt. Charakteristisch ist die Verteilung im Land, denn die eine Hälfte dieser Städte liegt in den sozial benachteiligten Regionen im Norden des Landes und die andere Hälfte konzentriert sich auf die Mittelmeerküste und vor allem Marseille und Umgebung, wo nach der Unabhängigkeit Algeriens viele von dort zurückgekehrte französische Siedler eine neue Heimat fanden. Für die waren Charles de Gaulle und die Republik ein rotes Tuch und sie und ihre Nachfahren wählen massiv Front National.

Kein Geld für »Kommunisten«

Die elf FN-geführten Städte sollen nach dem Willen der Parteiführung demonstrieren, dass und wie die FN in der Lage ist, Macht im Interesse der Bürger auszuüben. So wurden, um die Kommunalsteuern senken zu können, fast überall linker Gesinnung verdächtige Angestellte entlassen und Finanzbeihilfen an missliebige Organisationen gestrichen.

Doch vor allem erlebt man hier, welche Blüten die rassistische, antidemokratische und europafeindliche Ideologie in der Praxis treibt. So hat der Bürgermeister von Béziers der Straße des 19. März 1962, die an die Unabhängigkeit Algeriens erinnerte, umbenannt und hat ihr den Namen eines Offiziers des Algerienkrieges gegeben, der sich 1961 am Putsch gegen die Unabhängigkeit und gegen die Republik beteiligt hat und dafür zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

In Fréjus weigert sich der FN-Bürgermeister, eine bereits fertiggestellte Moschee in Betrieb nehmen zu lassen und zahlt lieber aus der Stadtkasse Säumnisgebühren, zu der ihn ein Gericht verurteilt hat. Die Stadtverwaltung von Beaucair hat Demonstrationen von Anwohnern gegen ein Aufnahmeheim für Flüchtling aus dem »Dschungel« von Calais organisiert, das auf Kosten des Staates durch den Präfekten des Departements eingerichtet wurde. In Mantes-la-Ville wurde allen Vereinen die Beihilfen der Stadt um 20 Prozent gekürzt und den »kommunitaristischen« unter ihnen - womit vor allem arabische und afrikanische Landsmannschaften gemeint sind - wurden sie ganz gestrichen.

Doch den Gipfel hat wohl wieder der Bürgermeister von Hayange abgeschossen, der für die Weihnachtszeit im Rathaus eine Krippe aufbauen ließ, in der es unter den Königen aus dem Morgenland keinen Schwarzen gibt.

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