nd-aktuell.de / 16.12.2016 / Politik / Seite 6

Aus dem Bericht, aus dem Sinn?

Wieder einmal wurden kritische Stellen aus dem Entwurf zum neuen Armuts- und Reichtumsbericht gestrichen

Elsa Köster und Fabian Lambeck

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) galt innerhalb ihrer Partei einmal als Vertreterin des linken Flügels. Ihre Agenda trug bislang tatsächlich noch die Handschrift einer Linken. Etwa ihre Pläne, die Leiharbeit zurückdrängen. Doch weil sie mit ihren Plänen am Koalitionspartner und auch an der eigenen Partei scheiterte, wird sie als durchsetzungsschwache Ressortleiterin ohne klares Profil in Erinnerung bleiben.

Am Donnerstag wurde nun bekannt, dass sie auch mit ihrem Vorhaben, im nächsten Armuts- und Reichtumsbericht erstmals den Einfluss von Eliten und Vermögenden auf politische Entscheidungen untersuchen zu lassen, teilweise gescheitert ist. Der damit beauftragte Osnabrücker Politikwissenschaftler Armin Schäfer kam dort zu dem Schluss: »Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikveränderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird.« Doch das ging einigen offenbar zu weit. In der Version des Berichts, die den Regierungsressorts vorgelegt wurde, ist diese Aussage nicht mehr zu finden: Sie wurde gestrichen.

Wie die »Süddeutsche Zeitung« am Donnerstag zuerst berichtete, sind von den Streichungen mehrere kritische Passagen betroffen - vor allem Aussagen darüber, ob Reiche mehr Einfluss auf politische Entscheidungsfindungen haben als ärmere Menschen. Die erste, unveränderte Version, auf die sich das Blatt bezieht, wurde vom Bundesarbeitsministerium verfasst und dem Kanzleramt sowie weiteren Ministerien vorgelegt. Schäfer warnte in dieser Fassung deutlich vor einer »Krise der Repräsentation«: »Personen mit geringerem Einkommen verzichten auf politische Partizipation, weil sie Erfahrungen machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidungen weniger an ihnen orientiert.« Ebenso gestrichen worden sei der Satz: In Deutschland beteiligten sich Bürger »mit unterschiedlichem Einkommen nicht nur in sehr unterschiedlichem Maß an der Politik, sondern es besteht auch eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen«.

Die Zensoren haben womöglich ein paar kritische Sätze übersehen. So findet sich in der aktuellen Fassung vom 13. Dezember eine Formulierung, wonach »größeres materielles Vermögen die Möglichkeit« verleihe, »gesellschaftlichen Einfluss zu nehmen«. Zudem gibt es noch den Hinweis auf eine Befragung von »Hochvermögenden«. Dabei habe die Mehrheit der Superreichen angegeben, »Personen zu kennen, die sie bitten könnten, wichtige Entscheidungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen«. Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn die Milliardärsfamilie Quandt die CDU mal wieder mit einer großzügigen Spende bedenkt.

Angesichts der jüngsten »Nachbesserungen« bleibt abzuwarten, ob die Kollegen aus dem Finanz- oder Wirtschaftsressort hier nicht noch einmal zum Rotstift greifen. So wie der damalige Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), der im Jahr 2013 in der Ressortabstimmung zum vierten Armuts- und Reichtumsbericht den Satz »Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt« einfach streichen ließ.

Das Bundesarbeitsministerium betont nun, die Fassung des Berichts, auf die sich die »Süddeutsche Zeitung« beziehe, sei lediglich ein Entwurf gewesen, der ausschließlich für die Ressortabstimmung bestimmt gewesen sei. »Dass im Zuge dieses Stadiums Änderungen vorgenommen werden, entspricht nicht nur dem Charakter von Ressortabstimmungen, es ist nachgerade ihr Ziel«, betonte eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber dem »neuen deutschland«. Es handele sich um ein übliches Verfahren. Die Endfassung werde im Frühjahr 2017 vom Kabinett beschlossen.

Heftige Kritik an den Eingriffen kam am Donnerstag nicht nur von Lobbycontrol und der Linkspartei, sondern auch aus der SPD-Bundestagsfraktion. Der Parteilinke Marco Bülow bezeichnete es als »nicht hinnehmbar, dass der Armuts- und Reichtumsbericht geschönt wurde und Passagen komplett gestrichen wurden.« Bereits Ende Oktober hatte es Diskussionen gegeben, weil im Entwurf behauptet wurde, dass »nur wenige Kinder in Deutschland« unter materieller Not leiden würden. Dem Bericht zufolge ist »jedes 20. Kind mit Armut konfrontiert«. Das Deutsche Kinderhilfswerk geht hingegen davon aus, dass jedes fünfte Kind in Armut lebt. Insgesamt rund drei Millionen Jungen und Mädchen.

Die Linkspartei betrachtet Armut als Problem und brachte am Donnerstag einen Antrag ein, der die Bundesregierung auffordert, einen »mehrjährigen und umfassenden Aktionsplan gegen Kinderarmut aufzulegen«. Auch die LINKEN verweisen in ihrem Antrag auf Daten aus dem Mikrozensus, wonach im Jahr 2015 19,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren von Armut bedroht gewesen seien. Unter anderem fordert die Linksfraktion, das Kindergeld auf einheitlich 328 Euro zu erhöhen und die Regelbedarfe für Kinder in Hartz IV »realistisch zu ermitteln«. Gerade hier mauert die Große Koalition.

Bei der nächsten Regelsatzerhöhung zum 1. Januar gehen viele Kinder leer aus. Denn für die jüngsten Hartz-IV-Bezieher bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr bleibt der Satz unverändert bei 237 Euro im Monat. Kommentar Seite 4