nd-aktuell.de / 19.12.2016 / Berlin / Seite 11

Verdrängung mit Ansage

Mieter der Otto-Suhr-Siedlung in Berlin-Kreuzberg wehren sich gegen Mieterhöhungen durch Deutsche Wohnen

Jonathan Welker

Es sind zwei Grad unter Null und Dampf steigt aus Andi Möllers Tasse. Er nimmt einen kräftigen Schluck Glühwein und sagt: »Wenn ich so eine Mieterhöhung bekomme, dann hab’ ich ein echtes Problem.« Möller ist seit 1982 Mieter in der Otto-Suhr-Siedlung, die an der Grenze zwischen Kreuzberg-Friedrichshain und Mitte liegt. Er hat Angst, bald seinen Kiez verlassen zu müssen.


Gemeinsam mit Möller sind rund 40 Mieter am Samstag auf die Straße gegangen, um sich bei Glühwein und Kuchen über die steigenden Mieten auszutauschen und sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Viele ältere Menschen, aber auch Studenten und türkischstämmige Familienväter stehen vor einem Café in der Siedlung. Sie tauschen sich über die neuesten Entwicklungen im Kiez aus und sammeln Unterschriften. Die Unterschriftenlisten sollen im Januar dem Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg übergeben werden.


Denn Probleme gibt es hier zur Genüge. Seit die Häuser der Siedlung vor drei Jahren vom börsennotierten Immobilienkonzern Deutsche Wohnen aufgekauft wurden, sei wenig bei der Instandhaltung wenig passiert, sagen die Mieter. »Uns hat der rot-rote Senat damals verscherbelt«, sagt Möller. Als seine Wohnung noch einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft gehört habe, sei vieles besser gewesen. Doch seit Herbst diesen Jahres komme es vermehrt zu sogenannten Modernisierungsankündigungen durch den neuen Besitzer.


So nötig zumindest ein Teil der Gebäude eine Sanierung hätte: von den geplanten Baumaßnahmen hätten nur die wenigsten Mieter etwas. Denn die Mieten würden dann teilweise deutlich über 30 Prozent steigen – auf eine Summe, die sich viele nicht werden leisten können. Denn die Siedlung gehört mit zu den ärmsten der gesamten Stadt, die Arbeitslosenquote beträgt 17 Prozent – beinahe doppelt so hoch wie im Berliner Durchschnitt. 70 Prozent der Kinder leben in Familien, die ihren Unterhalt mit ALG II bestreiten müssen.


Brigitte Schulz, die im wahren Leben anders heißt, hat bereits eine Modernisierungsankündigung erhalten, ihre Kaltmiete wird in der Folge um 50 Prozent steigen. Sie wird die Erhöhung bezahlen können. Um die anderen Mieter jedoch macht sie sich Sorgen: »Meine Nachbarn aus meinem Haus, die seit 16 Jahren hier wohnen, werden bald nicht mehr hier leben können«, sagt die Rentnerin.

Auch Julia Dück, die das Protesttreffen mitorganisiert hat, ist wütend: »Sie wollen Profite auf dem Rücken von uns Mietern machen. Ich finde aber, alle müssen das Recht haben, an ihrem Wohnort, in ihrem Zuhause bleiben zu können.«


Eine Möglichkeit, die Verdrängung zu stoppen, ist noch gegeben. Der Bezirk hatte im September ein Verfahren eingeleitet, das den Bereich Ritterstraße, zu dem die Otto-Suhr-Siedlung gehört, zum Milieuschutzgebiet erklärt. Bauvorhaben können nun streng kontrolliert und müssen extra genehmigt werden. So können Modernisierungsmaßnahmen verhindert werden, die nicht den Mietern dienen, sondern diese verdrängen.