Die Welt ist auf Sand gebaut

Die Förderung des wichtigsten Bau- und Industrierohstoffes wirft zunehmend Probleme auf

Sand ist der meistverbrauchte Rohstoff der Welt. Die jährliche Nachfrage liegt bei rund 15 Milliarden Tonnen - mehr als grobe Schätzungen gibt es aber nicht. Der jährliche Umsatz soll sich auf 70 Milliarden Dollar belaufen. Sicher sind sich Experten jedoch, dass der Bedarf in Straßenbau und Betonherstellung, in der Glas- und Chemieindustrie, für Elektronikbauteile und Solarzellen, beim Fracking von Öl- und Gasquellen deutlich zunimmt.

Sand gibt es weltweit mehr als genug - aber in den Wüsten. Dieser Sand eignet sich nicht für die üblichen Nutzungen. Dem steten Wind ausgesetzt, runden sich Sandkörner in der Wüste ab und lassen sich nicht, oder nur nach aufwendiger und teurer Aufbereitung, zu Baustoffen verfestigen - im Gegensatz zum rauen Sand aus dem Meer oder aus den üblicherweise genutzten Lagerstätten an Land. Daher ist das wüstenreiche Dubai, das seine Sandbänke längst abgebaggert hat, wegen seines gigantischen Baubooms von Importen abhängig.

Der Rohstoff betrifft auch in Deutschland fast jeden. Gebaut wird schließlich immer und überall. Und so kürte ein Kuratorium unter Federführung des Berufsverbandes der Geowissenschaftler Sand zum »Gestein des Jahres 2016«. Hierzulande gibt es auch verlässliche Zahlen: Rund 250 Millionen Tonnen beträgt der jährliche Bedarf - so viel wie bei keinem anderen mineralischen Rohstoff. Der Gesamtwert beträgt rund 1,5 Milliarden Euro. Zu den Hotspots der Förderung gehören übrigens unter anderem Brandenburg und Regionen am Niederrhein.

Sand entsteht durch Verwitterung oder Erosion in den Bergen und wird von den Flüssen zum Meer transportiert. Die Körner dürfen laut Definition bis zu zwei Millimeter messen - sind sie größer, werden sie Kies genannt. Dagegen ist die stoffliche Zusammensetzung egal. Meistens besteht Sand überwiegend aus Quarzkörnern - dem nach Feldspat häufigsten Mineral auf der Erde. So ist es auch beim sogenannten Industriesand, der im Wesentlichen in der Tief- und Hochbauindustrie für die Herstellung von Beton genutzt wird oder als Füllsand, um Häuser zu isolieren.

Wertvoller als dieser »normale« Sand ist reiner Quarzsand, der in den bei Touristen beliebten Schwarzwälder Glasbläserhöfen ebenso geschätzt wird wie in der High-Tech-Optik-Industrie um Jena. Zum Einsatz kommt er in Glasfasern, als Bremsstoff bei der Bahn und in der Chemieindustrie. »Die jährlich weltweit verwendeten Quarzsandmengen bewegen sich im Millionen-Tonnen-Bereich«, sagt ein Sprecher der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Die staatlichen BGR-Forscher in Hannover sorgen sich im öffentlichen Auftrag um die Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft. Deren Interessen reichen von Manganknollen im Pazifik, wo die Bundesrepublik einen Claim abgesteckt hat, bis hin zum ordinären Sand in der Rheinebene.

Auch bei Sand gilt die Versorgung nicht mehr zu 100 Prozent als langfristig gesichert. Der internationale Handel hilft indes hier bei der Deckung des Bedarfs wenig, im Gegensatz zu anderen Massengütern wie Kohle oder Getreide wird Sand kaum grenzüberschreitend gehandelt, denn er ist zu schwer und zu billig. »Der heimische Bedarf an Steinen und Erden wird überwiegend aus eigener Produktion gedeckt«, heißt es bei der Deutschen Rohstoffagentur in Berlin. Einige Spezialsande etwa für Filteranlagen führt Deutschland sogar aus.

»Sande sind ein lokales Geschäft im Umkreis von fünfzig Kilometern«, erklärt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Mineralische Rohstoffe, Olaf Enger. Selbst wenn riesige Massen an gelbem Sandstrand an Nord- und Ostsee aufgespült werden, geschehe dies meist aus lokalen Quellen - vornehmlich vom Meeresboden. Engpässe entstünden laut Enger nur, weil viele örtliche Behörden »restriktiv« bei der Genehmigung seien. Die Nutzung von Sandlagerstätten konkurriert nämlich häufig mit anderen Flächennutzungen etwa für Grundwasser oder die Landwirtschaft. Hier bahnen sich Engpässe an: So bemängelte die Rohstoffbranche erst kürzlich, dass am Niederrhein kaum noch neue Abbauflächen genehmigt würden, während die bisher genutzten Kiesgruben allmählich erschöpft sind. Lokal kann es auch Qualitätsmangel geben: So sind am Oberrhein Sand und Kies eher grob. Feinere Sorten werden dann vom Niederrhein per Bahn und Schiff angeliefert.

Ein Transport über ganz große Strecken lohnt sich nur in Ausnahmefällen. Etwa für neue Ferienresidenzen im Pazifik oder Boomregionen in Indien und Thailand, die für Hochhausgiganten und Autobahnen gewaltige Sandmengen verbrauchen, über die sie selbst nicht verfügen. So verkaufen findige »Businessmen« auf der Südseeinsel Barbuda - dort leben gerade einmal eintausend Menschen - örtliche Sandstrände an Urlaubsparadiese auf Martinique und Guadeloupe. Vom Barbuda-Hafen aus wird der Traumstrand über Hunderte Seemeilen per Schiff verfrachtet. Asiens Wachstumsregionen werden wiederum vorwiegend aus Australien beliefert.

Doch ob Quarz-, Industrie oder Spezialsand - »die Vorräte reichen für Jahrtausende«, versucht die Bundesrohstoffanstalt in Hannover Entwarnung zu geben. Allerdings steht es auf einem anderen Blatt, ob diese auch gefördert werden sollten. Denn dadurch werden Umweltprobleme verschärft: In vielen Weltregionen verschwinden in zunehmendem Maße die Strände - durch Sturmfluten, den steigenden Meeresspiegel und durch Staudämme, die den Sandnachschub aufhalten. Werden dann zusätzlich noch große Mengen Sand als Rohstoff abgebaggert, kann das Meer schon mal um Hunderte Meter jährlich ins Land vorrücken. Mancherorts wird unkontrolliert und illegal abgebaut sowie geschmuggelt - ein gutes Geschäft, denn der Sand ist gratis. Nur in wohlhabenden Gegenden, wo Wohngegenden oder der Tourismus bedroht sind, wird durch Aufschüttung in ganz großem Stil gegengehalten.

Sand wird häufig durch riesige, mit Saugarmen ausgestattete Schwimmbagger gefördert, die bis 400 000 Kubikmeter pro Tag vom Meeresgrund hochpumpen können. Mehrere tausend solcher Ungetüme kreuzen über die Weltmeere. Dadurch entstehen neue Probleme: Am Meeresgrund lebende Organismen und Tiere werden getötet, Korallen ziehen sich zurück, kleine und große Fische finden keine Nahrung mehr. Zuletzt verlieren Fischer ihre Existenzgrundlage.

Es ist eben wie bei anderen natürlichen Rohstoffen auch: Recycling ist besser als die Förderung in bisherigem Stil. In Deutschland, das weltweit mit als führend gilt, werden inzwischen 13 Prozent der Baustoffe auf diese Weise gewonnen. Nur - muss man wohl sagen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal