nd-aktuell.de / 30.12.2016 / Politik / Seite 1

Kerry hält Wutrede zum Nahostkonflikt

US-Außenminister geißelt die Obstruktionspolitik Israels und wird dafür scharf angegriffen

Roland Etzel

Es hat in John Kerrys knapp 600-tägiger Amtszeit als US-Außenminister wenige Auftritte gegeben, mit denen er Aufsehen erregte. Das mag an seiner meist um diplomatische Contenance bemühten Art gelegen haben, hatte aber wohl auch damit zu tun, dass er in der Machtpyramide von Präsident Obama nicht der Star war wie Amtskollegen vor ihm. Man denke nur an Henry Kissinger.

Wohl deshalb hat Kerrys von ihm als Grundsatzerklärung deklarierte Rede zum Nahostkonflikt jetzt so viel Aufsehen erregt. Denn es war eine Art Wutrede: drei Wochen vor Amtsende endlich einmal Klartext zu einem Konflikt, mit dem er die ganze Zeit befasst war und in dem er sich einer verordneten Sichtweise des US-Kongresses unterzuordnen hatte, die er nicht teilt, wie man nun erfährt.

Es geht um die Beurteilung der Politik der israelischen Regierungen unter dem Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dessen Haltung zu einem Staat Palästina. Einem erst noch zu schaffenden Staat, was internationale Beschlusslage ist und einst in Worten auch von Netanjahu eingeräumt wurde, der in Wirklichkeit aber alles dafür tat und mehr denn je tut, damit es einen solchen Staat niemals geben wird.

Darüber empörte sich Kerry am Mittwoch erstmals öffentlich und hat sich damit die ungebremste Wut Netanjahus und seiner religiös-fundamentalistischen Regierung zugezogen, die permanenten Landraub auch gegenwärtig wieder als Wohnungsbau ausgibt und Protest dagegen als Terror. Kerry erklärte laut dpa dazu nun u. a.: Die Koalition unter Netanjahu sei »die rechteste Regierung in der Geschichte des Landes«. Sie schaffe mit ihrer Siedlungspolitik Tatsachen für eine Einstaatenlösung. Wenn sie diesen Ansatz wähle, könne Israel »entweder jüdisch oder demokratisch sein, nicht beides«. Er warnte davor, die Zweistaatenoption aufzugeben. »Wir können es nicht erlauben, dass diese Lösung vor unseren Augen zerstört wird.«

Israel glaubt, diese Mahnung jetzt erst recht mit Blick auf den Präsidentenwechsel in den USA barsch zurückweisen zu können. »Wenn die US-Regierung den palästinensischen Terror so bekämpft hätte wie den Häuserbau in Jerusalem, dann hätte der Frieden vielleicht eine Chance gehabt«, höhnte Premier Netanjahu.

Aus Europa gab es verhaltene Zustimmung für Kerry. Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault und sein deutscher Kollege Frank-Walter Steinmeier begrüßten den Appell für eine Zweistaatenlösung.