nd-aktuell.de / 03.01.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 3

»Der Kampf der Giganten hat erst begonnen«

Saatgutaktivist Benedikt Härlin im Gespräch über Nutzen und Schaden der Digitalisierung in der Landwirtschaft

Haidy Damm

Die Agrarunternehmen sprechen von großen Chancen durch Precision Agriculture (digitale Landwirtschaft). Sehen Sie auch Möglichkeiten für Kleinbauern, die ja den größten Teil der Landwirtschaft stemmen?
Das kommt sehr darauf an, wem welche Daten in Zukunft gehören, wie sie verbreitet und zugänglich gemacht werden. Auch für Kleinbauern könnten bestimmte Daten, etwa über die Wetterentwicklung oder die Ausbreitung von Schädlingen von großem Nutzen sein, wenn sie ihnen so zugänglich gemacht werden, dass sie damit arbeiten können. Viele Daten braucht freilich eine Bäuerin, die in Afrika oder Asien ein oder zwei Hektar bewirtschaftet, nicht.

Warum nicht?
Kleinbauern kennen ihr Stückchen Erde gut genug. Das ist bei einem Agrarunternehmen mit 2000 Hektar etwas anderes. Ob und wo die gegenwärtig sich ausbreitenden Formen der digitalen Erfassung von Einzelaspekten - auch zum Beispiel der Bodenbeschaffenheit - den herkömmlichen und künftigen menschlichen Formen der Beobachtung tatsächlich überlegen sind und wo nicht, werden wir erst im Laufe der Zeit mitbekommen. Digitalisierte Systeme sind jedenfalls bisher noch selten schlauer als ihre Programmierer.

Wird durch die Digitalisierung die Lücke zwischen industrieller Landwirtschaft und kleinbäuerlichen Strukturen größer?
Dort wo der Einsatz digitaler Systeme mit einer hohen finanziellen und vielleicht auch kulturellen Eintrittsschwelle versehen ist, können sie die Lücke vergrößern. Der nicht kontrollierte Markt wird in diese Richtung tendieren und auch das politische Interesse von Machteliten wird die Digitalisierung eher als Form des Ausschlusses kleiner Bäuerinnen und Bauern zu nutzen versuchen. Auf der anderen Seite gibt es beispielsweise Formen des Einsatzes von Mobiltelefonen und Smartphones, die durchaus den Zugang der Ärmeren zu Marktinformationen, Versicherungen und Kleinkrediten unterstützen, ihnen also einen Zugang verschaffen, der vorher so nicht verfügbar war. Fluch und Segen des Internets liegen auch in der Landwirtschaft in vielen Fällen dicht beieinander.

Könnten weitere technische Möglichkeiten ihre Situation nicht noch mehr verbessern?
Smartphones erlauben es beispielsweise auch, Bilder von Pflanzen und Insekten, von Krankheiten und so weiter zu verschicken und eine entsprechende Beratung zu bekommen. Sie machen es möglich, sich gegenseitig zu informieren, fortzubilden oder auch zu organisieren. Allerdings sind sie daneben sehr, sehr anfällig für jede Form von Irreführung und einseitige Werbung, und natürlich auch dafür, Landwirte auszuhorchen und ihre Informationen zu missbrauchen oder etwa gegen sie zu verwenden.

Beim Deal zwischen Bayer und Monsanto soll Precision Farming eine wichtige Rolle spielen …
Precision Farming ist ein sehr weiter Begriff. Ob Bayer und Monsanto letztlich diejenigen sein werden, die die totale Lufthoheit über »Big Data« in der Landwirtschaft erringen werden, müssen wir noch sehen. Der Kampf der Giganten hat erst begonnen und da spielen sowohl Landmaschinenhersteller als auch Google und Co. eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Welche Gefahren sehen Sie?
Die größte Gefahr sehe ich zunächst auf der Patentebene. Wenn Informationen zu Privateigentum werden, das Landwirten vorenthalten werden kann. Wenn die Daten über ihr eigenes Stück Land gar nicht mehr ihnen gehören und die Pflanzen, die sie anbauen, nur noch von Baysanto geleast werden. Und wenn der Preis, zu dem sie ihre Produkte verkaufen, von Maschinen ausgespuckt wird, auf die sie keinen Einfluss haben, dann ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem wir uns fragen werden, ob die digitale Leibeigenschaft wirklich ein Fortschritt ist oder ob wir uns kulturell und sozial bereits wieder auf dem Weg in ein neues Mittelalter befinden.