nd-aktuell.de / 04.01.2017 / Berlin / Seite 9

Rad-Initiative drückt aufs Tempo

Aktivisten des Volksentscheids wollen bis Ende März ein Fahrradgesetz haben

Nicolas Šustr

»Radfahrer sind sieben Kilo leichter«, mit dieser plakativen Botschaft an die Öffentlichkeit startet Heinrich Strößenreuther, Initiator des Fahrrad-Volksentscheids, in das neue Jahr. Er bezieht sich mit der Aussage auf eine Studie des Londoner Imperial College. Tatsächlich nennt die wissenschaftliche Arbeit einen Gewichtsunterschied von vier bis sieben Kilo zwischen Radlern und Autofahrern, insbesondere bei Langstreckenpendlern. Aber die Aktivisten vom Radentscheid haben es gerne etwas peppiger.

Damit sind sie bisher auch gut erfahren, die öffentliche Aufmerksamkeit ist ihnen sicher. In der ersten Phase des Volksentscheids unterschrieben auch innerhalb kürzester Zeit mehr als 100 000 Bürger. Seitdem hängt der Gesetzentwurf in der Überprüfung durch die Verkehrsverwaltung fest. »Seit inzwischen sechseinhalb Monaten«, sagt Strößenreuther. Inzwischen klagt die Initiative wegen Untätigkeit vor Gericht. Die Aktivisten wollen, dass es endlich vorangeht mit der Berliner Fahrradrevolution. Bis Ende März soll nach ihren Vorstellungen das entsprechende Gesetz im Abgeordnetenhaus beschlossen werden.

»Alle drei Wochen stirbt ein Radfahrer«, nennt Strößenreuther einen gewichtigen Beweggrund. 16 Radler starben 2016 bei Unfällen auf den Straßen der Hauptstadt, 600 wurden schwer, 5000 leicht verletzt. »Die Hälfte der getöteten Menschen waren Senioren, also beileibe keine Kampfradler«, sagt er. Und: »Zwischen dem Tod und einer schweren Verletzung liegen oft nur Millisekunden.«

»Radwege sind dann sicher, wenn Eltern ihre Kinder dort alleine darauf fahren lassen würden«, auf diese Definition einigten sich bei einem Streitgespräch im Mai der damalige Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) und Heinrich Strößenreuther. Nach dieser Definition sind 90 Prozent der Radwege bei einer Leserumfrage der »Berliner Morgenpost« durchgefallen. Auf keinerlei Gegenliebe stößt die Nutzung von Busspuren und Radstreifen, wie in der Schöneberger Hauptstraße oder der Leipziger Straße in Mitte. Am besten schnitt der Fahrradweg entlang der Straße des 17. Juni ab. »Der ist schön breit und durch parkende Autos sicher vom Lkw- und Pkw-Verkehr abgeschirmt, wenn auch keine tolle Oberfläche«, so Strößenreuther. Ohne das Gefühl von Sicherheit ließen sich viele Autofahrer nicht aufs Zweirad locken.

Das wiederum torpediert Umweltziele. »Das Fahrradgesetz ist auch eine der schnellsten und günstigsten Methoden, um den Klimaschutz voranzubringen«, sagt Strößenreuther.

»Spannende Versprechungen« habe die rot-rot-grüne Koalition gemacht, findet er. Zum Beispiel die angekündigte Umverteilung des Straßenraums zugunsten von Fußgängern, öffentlichem Nahverkehr und Radlern. Eine vollständige Umsetzung des Radgesetzes ließe den Anteil an der Verkehrsfläche von bisher drei auf sieben Prozent steigen, so Berechnungen der Initiative.

Der Abgleich der zehn Kernforderungen der Initiative mit den entsprechenden Passagen im Koalitionsvertrag wirkte auf die Aktivisten allerdings ernüchternd. »Wir haben nur rund 20 Prozent Übereinstimmungsgrad gefunden«, sagt Strößenreuther. Klar definiert in Ausdehnung und Standard sei nur das Ziel der zwei Meter breiten Radwege an Hauptstraßen. Auch die geforderten 100 Kilometer Radschnellwege finden sich explizit in der Koalitionsvereinbarung wieder. »Das Ergebnis ist nicht wirklich toll«, findet Strößenreuther. »Supergut« seien allerdings die ab 2019 jährlich eingeplanten Investitionen in Höhe von 51 Millionen Euro in die Radinfrastruktur.

Am Freitag trifft sich die Initiative mit der neuen Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne). »Wir stehen für Verhandlungen bereit«, sagt Strößenreuther. »Es geht ums Kennenlernen. Aber wir werden auch über Zeitpläne sprechen, wie und wann wir die Ziele, die wir gemeinsam haben, erreichen können«, sagt Michael Tang, Sprecher der Verkehrsverwaltung. »Als Rückfallebene müssen wir den Volksentscheid weiter durchziehen«, kündigt Strößenreuther an. Es solle nicht wieder ein »wachsweiches Papier« wie die vom alten Senat verabschiedete Fahrradstrategie entstehen.