nd-aktuell.de / 05.01.2017 / Berlin / Seite 11

Angeblich sehnte er sich nach dem Paradies

Mutmaßlicher IS-Kämpfer wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt

Peter Kirschey

Steht dort ein Mann vor Gericht, der zu allem bereit war? Wollte er in Berlin im Namen Allahs einen Anschlag auf Orte wie das Brandenburger Tor oder den Alexanderplatz verüben? Die achtseitige Anklage der Bundesanwaltschaft behauptete dies zum Auftakt des Prozesses vor dem Kammergericht Berlin am Mittwoch. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz lauten die Anklagepunkte gegen den heute 20-jährigen Shaas Al M. Er soll aktiver Kämpfer des IS in Syrien gewesen sein. Aufnahmen sollen ihn mit einer Kalaschnikow bei der Belagerung eines Flughafens nahe seines syrischen Heimatdorfes zeigen.

Im August 2016 reiste er als minderjähriger Flüchtling nach Deutschland und fand in Brandenburg Unterkunft, am 22. März vergangenen Jahres wurde er festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Nun ist die Anklage wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz schon ein wenig pikant. Er war »nicht im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis«, heißt es in der Anklage. Wer in Syrien verstößt nicht gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, wer ist befugt, Waffen legal zu tragen? Zum Auftakt forderten die Verteidiger den Ausschluss der Öffentlichkeit. Die angeklagten Taten fielen in einen Zeitraum, da Shaas Al M. noch Jugendlicher war. Der Erziehungsgedanke müsse in diesem Fall im Vordergrund stehen. Dem widersprachen die Bundesanwälte, die ursprünglich auch den Ausschluss der Öffentlichkeit befürwortet hatten. Da der Prozess vor der Staatsschutzkammer und nicht vor einer Jugendkammer stattfinde, überwiege der Informationsanspruch der Öffentlichkeit. Dem schloss sich der erste Strafsenat an. Somit durften die Beobachter bleiben. Da sich der Angeklagte nicht äußern will, sprangen die Verteidiger mit umfänglichen Anträgen in die Bresche.

Die erste Erklärung: Ihr Mandant sei gar nicht Mitglied des IS gewesen sondern er gehörte einer Gruppierung an, die sich der Freien Syrischen Armee anschloss, die gegen das Assad-Regime kämpft. Die Bilder, auf denen er mit einer Kalaschnikow zu sehen ist, würden ihn dabei zeigen, wie er Lebensmitteltransporte für sein Dorf mit einer Waffe begleitet. Außerdem würden falsche Angaben über die Leute und falsche Angaben über den IS gemacht. Auch seien Personen fälschlicherweise dem IS zugeordnet. Die Anwälte zweifelten die von den Ermittlern gemachte Angabe an, dass M. derjenige sei, »der sich nach dem Paradies sehne«. M. habe nur die Interessen seines Dorfes verteidigt, dies sei unter den Bedingungen eines Bürgerkrieges legitim, zumindest nicht nach deutschem Recht strafbar.

In einer zweiten Erklärung forderten die Verteidiger, große Teile der in den Vernehmungen getätigten Aussagen nicht zu verwenden, da ihr Mandant nicht ordnungsgemäß belehrt worden sei. Während sich die polizeiliche Belehrung auf seinen Aufenthalt in Deutschland bezog, habe sich die Vernehmung vor allem um die Geschehnisse in Syrien gedreht. Außerdem müsse man einem Beschuldigten konkret sagen, was man ihm vorwirft. Somit handle es sich um eine verbotene Vernehmungsmethode und es trete das Beweisverwertungsverbot ein.

Über all die Fragen konnte das Gericht nicht entscheiden und vertagte sich. Ende April soll das Urteil gesprochen werden, nach den Anträgen der Verteidigung dürfte dieser Zeitplan kaum einzuhalten sein. Sollte M. schuldig gesprochen werden, dann drohen ihm nach Jugendstrafrecht bis zu fünf Jahre Haft, nach Erwachsenenstrafrecht wären es bis zu zehn Jahre.