Sloradstwo

Der globale Hack

  • Lesedauer: 3 Min.

Sapere aude. Das lateinische Sprichwort, vom deutschen Philosophen Immanuel Kant 1784 zum Leitspruch der Aufklärung erklärt: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!«, scheint im sogenannten postfaktischen Zeitalter in der westlichen Welt vergessen. Wie sonst ist das Wehgeschrei über die vermeintlichen Hackerangriffe respektive -eingriffe in die Meinungsbildung während der US- Präsidentschaftswahl zu interpretieren? Das unmündige, zu selbstständigem Denken unfähige Volk der Vereinigten Staaten von Amerika hat sich von einer bösen ausländischen Macht manipulieren lassen. Unerhört!

Dass die größten Fake News seit jeher die großen Medien, vor allem die Yellow Press, produzieren, scheint ebenso verdrängt. Auch, dass vor Wahlen jedes Volk auf Erdenrund von Protagonisten seiner politischen Elite belogen und betrogen, getäuscht und gelinkt wird (ja, zuweilen gar selbst gern eingelullt werden möchte). Im aktuellen Fall ist Schadensfreude - als deutsches Lehnwort nicht nur in die englische, sondern auch französische, italienische, spanische, portugiesische und polnische Sprache eingegangen - legitim. Denn sollten die Hacker, die Barack Obama zu erneuten Sanktionen gegen Russland (und damit zu guter letzt zu eigenhändiger Zertrümmerung seiner letzten positiven Imagereste) motivierten, tatsächlich Kreml-Agenten sein, ließe sich das Riesenreich im Osten nicht mehr als »Regionalmacht« und innovationslahm kleinreden, wie einmal aus dem Weißen Haus zu hören war. Auf Russisch heißt Schadensfreude übrigens Sloradstwo.

Man fragt sich zudem, wie es sein kann, dass ausgerechnet das führende High-Tech-Land so leicht Opfer ausländischer Trolle werden kann. Schlafen die in Silicon Valley? Wenn ja, das Wahlkampfteam der Demokraten hätte gewappnet sein können mit Mark Goodmans »Future Crimes«. In dem auf Deutsch unter dem Titel »Global Hack« (Hanser, 2015) erschienenen Buch gibt der Sicherheitsexperte Tipps zum Schutz vor kriminellen Hackern: Betriebssysteme, Programme und Apps stetig auf neuestem Stand bringen; Passwörter sollten 20 oder mehr Zeichen umfassen sowie Groß- und Kleinbuchstaben, Symbole und Leerzeichen enthalten; Software nur von offiziellen Seiten herunterladen; Administrator-Accounts mit Vorsicht nutzen; Verschlüsselungen etc.pp. Der gute Mann, der über zwanzig Jahre im Dienste des Los Angeles Police Department, von FBI und US Secret Services sowie Interpol stand, warnt: »Unsere gegenwärtigen Sicherheitsmaßnahmen sind entsetzlich veraltet. Sie halten Bits und Bytes nicht auf, die mit Lichtgeschwindigkeit um die Welt reisen.« Es bedürfe radikaler Ansätze, etwa Crowdsourcing: »Wo sind die Bürgerwehren und Hilfspolizeiprogramme des Cyperspace? Wir sollten uns nicht auf eine kleine Elite ausgebildeter Agenten verlassen.« Außerdem plädiert Goodman für ein Cyper-Manhatten-Projekt, angeregt durch das Unternehmen der 1940er Jahre, als man glaubte, Hitler bastele an der Atombombe. Natürlich, so räumt Goodman ein, könne man die Gefahren gestohlener Kreditkarten (oder manipulierter Wahlen) nicht mit der Katastrophe eines Atomkrieges vergleichen, aber einige bevorstehende Entwicklungen hätten das Potenzial, das Leben auf unserem Planeten zu bedrohen. Tja, da ist Schadensfreude nicht mehr angebracht. ves

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