nd-aktuell.de / 10.01.2017 / Berlin / Seite 11

Hebammen und Physiotherapeuten auf Probe

Studenten von Gesundheitsfachberufen müssen weitere vier Jahre darauf warten, dass ihre Ausbildung als Regelstudium anerkannt wird

Ellen Wesemüller

Als Paul Stiegler am ersten Tag seines Praktikums in der Physiotherapiepraxis erscheint, sagt seine Chefin: »Ich finde das übrigens überhaupt nicht gut, was Sie machen.« Was er macht? Keine Ausbildung zum Physiotherapeuten, sondern ein Studium. Das ist seit 2009 in Deutschland erlaubt und wird seit 2010 angeboten - ist aber oft weder bekannt noch anerkannt. Stiegler hat sich trotzdem für den akademischen Weg entschieden: Ihn interessiert die »wissenschaftliche Herangehensweise«, er will »den internationalen Anschluss nicht verpassen«. In Skandinavien und den USA, Österreich und der Schweiz ist es gang und gäbe, diese Berufe an der Hochschule zu erlernen. Nicht so in Deutschland: »Der studierte Therapeut ist in der Praxis nicht angekommen«, sagt Stiegler. »Das ist, was mich extrem demotiviert.«

Ein weiteres Problem hat sich nun dazugesellt für Studiengänge der Gesundheitsfachberufe, neben Physiotherapeuten betrifft dies auch werdende Ergotherapeuten, Logopäden und Hebammen. Bisher galten diese Studiengänge als Modellversuch, sie sollten nach einer Evaluation als regelhafte Ausbildung anerkannt werden. Die Evaluation hatte im August positive Ergebnisse hervorgebracht, das Modellvorhaben wurde jedoch kurz vor Weihnachten um weitere vier Jahre verlängert.

»Das blockiert und verunsichert Studierende«, sagt Christian Trumpp, Präsident der IB-Hochschule Berlin, der am Montag zusammen mit anderen Hochschulen und Verbänden zum Pressegespräch geladen hatte. Eine zweite Berliner Hochschule schließt sich der Kritik an. Heidi Höppner von der Alice Salomon Hochschule, bundesweit die erste Professorin für Physiotherapie, sagt: »Wir werden eigentlich als Nullnummer behandelt.«

Was war passiert? Seit 1. Januar gilt das Dritte Pflegestärkungsgesetz. Es besagt, dass die Ausbildung der Gesundheitsfachberufe an Hochschulen weiter evaluiert werden soll. Zum einen soll geprüft werden, welchen »dauerhaften Nutzen« die akademische Qualifikation habe, vor allem bezogen auf die Kosten für das Gesundheitssystem und die Auswirkungen auf Fachschulen. Zum anderen soll die Ausbildung noch stärker akademisiert und von Fachschulen abgegrenzt werden, ohne dass das die Einheitlichkeit des Berufs gefährdet wird. »Ich halte das für vorgeschoben«, sagt Anne Friedrichs, Präsidentin der Hochschule für Gesundheit Bochum. »Die Entwicklung der Gesundheitsberufe hat einfach keine hohe Priorität.«

Tatsächlich ist die Erprobung eines Studiengangs über zehn Jahre ungewöhnlich lang. »Das ist dann kein Modell mehr«, sagt auch Trumpp. Sogar der Wissenschaftsrat hatte 2012 empfohlen, »angesichts des absehbaren Versorgungsbedarfs und des Komplexitätszuwachses in Aufgabenbereichen« zwischen zehn und 20 Prozent eines Jahrgangs auf hochschulischem Niveau auszubilden. »Davon sind wir weit entfernt«, sagt Höppner, in deren Studiengang 160 Studenten eingeschrieben sind.

Dabei sei die akademische Ausbildung wichtig. Es brauche andere Therapeuten, die über das »Reparaturverständnis« hinaus wissen, dass Krankheit multidimensionale Ursachen habe und dementsprechend handeln. Auch die Patienten haben sich geändert, sagt Trumpp. Man treffe nun auf Familienverhältnisse, in denen Therapeuten mehr betreuen und schlichten können müssen.

Zurückdrehen wollen die Betroffenen das Rad nicht. Stattdessen wollen sie die nächsten fünf Jahre nutzen, die angemahnte Nachhaltigkeit zu verbessern. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Gesundheit wollen sie zum Beispiel erarbeiten, wo auf dem Arbeitsmarkt die Absolventen unterkommen können.

Auch Student Stiegler hat eine Frage. Er will vom Podium wissen, was die Hochschulen tun, um mit den Berufsverbänden zu kommunizieren. Auch, um die Vorteile eines Studiums bekannter zu machen. Man habe bereits »alle Verbände zusammengetrommelt«, ist die Antwort, und werde das in Zukunft weiter tun. Ob ihn das befriedigt? »Nein«, sagt Stiegler. Er werde wohl ins Ausland gehen müssen. Kommentar Seite 4