nd-aktuell.de / 13.01.2017 / Politik / Seite 3

Palästinas allerletzte Chance

Die Konfliktparteien sitzen nicht mit am Tisch / Israel hofft auf Rückendeckung durch Trump

Oliver Eberhardt, Kairo

Die Endzeitstimmung ist in diesen Tagen allerorten deutlich spürbar; man hoffe, man brauche, man befürchte, sagen europäische und US-amerikanische Diplomaten immer wieder, wenn sie auf den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern angesprochen werden, und: »Die Konferenz in Paris ist vielleicht die allerletzte Chance, wieder einen Dialog zu beginnen«, ließ US-Außenminister John Kerry über seine Sprecher mitteilen. Kurz zuvor hatte er mitteilen lassen, dass er am Sonntag dabei sein werde, wenn Vertreter von 70 Staaten in Paris zusammenkommen.

Ein symbolisches Signal ist das. Aber eines, das Israels Regierung erneut zu wütenden Reaktionen veranlasste: Die Konferenz sei ein Tribunal und Israel der Angeklagte, sagte Verteidigungsminister Avigdor Lieberman. Und Regierungschef Benjamin Netanjahu kritisierte, Kerry schwäche durch seine Anwesenheit in Paris Israels Interessen und das wenige Tage nachdem ein Attentäter in Jerusalem in eine Gruppe Soldaten gerast ist: »Aktionen wie diese fördern den palästinensischen Terror«.

Israels Regierung hatte lange Zeit geplant, die Konferenz einfach zu ignorieren. Sie sei völlig unwichtig. Ergebnisse seien ohnehin nicht zu erwarten. Doch als der Weltsicherheitsrat Ende Dezember für eine Resolution stimmte, in der der Siedlungsbau verurteilt wird, zog in Israel Unruhe ein. Die USA hatten nicht, wie sonst üblich, ihr Veto eingelegt. Im Büro Netanjahu befürchtet man nun, dass am Ende der Konferenz ein weiterer Resolutionsentwurf stehen könnte, einer, in dem den Konfliktparteien eine Lösung von außen vorgegeben wird - und das kurz, bevor Donald Trump US-Präsident wird.

In ihn setzt die rechtskonservative Koalition in Jerusalem große Erwartungen: Immer wieder hatte er sich deutlich auf der israelischen Seite positioniert, sogar angekündigt, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Am 20. Januar werde der israelisch-palästinensische Konflikt von der Tagesordnung der internationalen Gemeinschaft verschwinden, erklärte Naftali Bennet, Chef der Siedlerpartei »Jüdisches Heim«. Der 20. Januar ist der Tag von Trumps Amtsantritt.

Eine Illusion, halten europäische Diplomaten dagegen: »Man darf erwarten, dass ein Großteil der internationalen Gemeinschaft nicht einfach zuschauen wird, wenn Trump im Alleingang Fakten schafft«, sagt Sophie Lagoutte, Sprecherin der französischen Botschaft in Tel Aviv. Und immer wieder wird darauf hingewiesen, dass die palästinensische Autonomiebehörde nahezu vollständig von Finanzhilfen der internationalen Gemeinschaft abhängig ist, während in Palästina gleichzeitig ein Machtkampf um die Nachfolge von Präsident Mahmud Abbas tobt: »Niemand weiß, wie die Lage dort in drei oder vier Jahren aussehen wird,« so Lagoutte.

Doch ein großes Hindernis wird es auch in Paris geben: Vor allem die Bundesregierung, aber auch viele andere europäische Regierungen betonen stets, Frieden könne nur auf der Grundlage von Verhandlungen entstehen, und halten sich mit klaren Aussagen zum Wie und Wann zurück; Anzeichen, dass nun eine größere Bereitschaft zu einer deutlicheren Positionsbestimmung, gar zu einem »Machtwort«, wie es Abbas fordert, entsteht, sind nicht erkennbar. Und: Es ist ungewiss, ob sich tatsächlich Staaten zu Zwangsmaßnahmen bereit finden würden, falls in Paris eine externe Friedenslösung verabschiedet werden würde.

Abbas indes verweist darauf, dass eine Zwei-Staaten-Lösung schon aus logistischen Gründen immer schwieriger wird. Mittlerweile ist die Zahl der Siedler auf 400 000 angestiegen; hinzu kommen mehrere hunderttausend Israelis, die in Ost-Jerusalem leben, wobei »Ost-Jerusalem« auch eine Vielzahl von Dörfern umfasst, die später eingemeindet wurden; 1967 war Ost-Jerusalem nur 6,4 Quadratkilometer groß. Die Fläche, die heute dazu gezählt wird, hat sich mindestens vervierfacht.

Und ständig kündigt die Netanjahu-Regierung weitere Baumaßnahmen an. »Unsere Forderung ist klar: Die Siedlungen müssen da weg,« sagt Abbas: »Aber je mehr gebaut wird, umso schwerer wird es, auch nur einen Teil davon in einer akzeptablen Zeit zu räumen. Verhandlungsversuche sind ständig gescheitert; die internationale Gemeinschaft muss also andere Wege suchen, um das Völkerrecht durchzusetzen.«