nd-aktuell.de / 16.01.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Fisch wird Luxusgut

WWF-Studie untersucht Zukunft des Fischkonsums / Eigenes Siegel in der Kritik

Folke Havekost, Hamburg

Die Prognose der Umweltorganisation »World Wide Fund For Nature« (WWF) ist düster: »Wir müssen davon ausgehen, dass der Fischkonsum im globalen Norden zukünftig noch weit mehr als bisher die Lebensbedingungen jener Menschen beeinflussen wird, die auf vielfältige Weise vom Fisch abhängen.« Bereits jetzt importiert Europa ein knappes Viertel des weltweiten Fischfangs. Die von Wissenschaftlern der Kieler Universität erstellte Studie »Überfischt und unterversorgt« widmet sich der Frage, »wie viel Fisch wir in Zukunft fangen und wer ihn essen wird«, und blickt dabei aufs Jahr 2050.

Aktuell gelten 31 Prozent der wissenschaftlich erfassten Fischbestände als überfischt und weitere 58 Prozent als maximal befischt. Weil die Fangmenge bis 2050 daher ohne ökologische Verheerungen voraussichtlich allenfalls um etwa zehn Prozent gesteigert werden kann, könnte Fisch zum Luxusgut werden - und noch mehr als jetzt aus dem globalen Süden nach Europa importiert werden. »Entwicklungsländer mit einem hohen Fischvorkommen werden dann ihren Fisch exportieren und nicht selber essen«, prognostiziert die Kieler Studie: »Für arme Küstenländer steigt so die Wahrscheinlichkeit, dass sich in ihren Grenzen Armut und Hunger ausbreiten.«

In Deutschland werden pro Kopf im Jahr 14 Kilo Fisch verzehrt, eine Menge, die etwas über den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO liegt. Weltweit steigt vor allem der Anteil an Fisch aus ökologisch ebenfalls bedenklichen Zuchtfarmen (»Aquakultur«), der mittlerweile über 50 Prozent liegt. Da ist guter Rat teurer als guter Fisch. »Kaufen Sie Fischprodukte mit den Siegeln von MSC, ASC, Bioland oder Naturland«, empfiehlt der WWF-Einkaufsratgeber Fische und Meeresfrüchte 2016/17.

Die ersten beiden Siegel stehen allerdings in der Kritik, teilweise durch den WWF selbst. In einer Fallstudie vom November 2016 über die Zuchtkontrollregeln von Thunfisch im Indischen Ozean heißt es, »dass durch das vollständige Fehlen von Zuchtkontrollregeln keine Thunfischfischerei im Indischen Ozean den MSC-Fischereistandard erfüllen sollte. Mehrere MSC-Gruppen kamen allerdings zu anderen Schlüssen. Dies ist unerklärlich und stellt einen sehr klaren Fall der falschen Anwendung des MSC-Fischereistandards dar.«

Brisant ist das Verdikt, weil das Marine Stewardship Council (MSC) 1997 vom WWF gemeinsam mit dem Lebensmittelkonzern Unilever gegründet wurde und auch nach seiner Unabhängigkeit weiter im WWF-Vorstand vertreten ist. Statt sich auf berichtete Fakten zu stützen, würden die MSC-Kontrolleure »Konformitätsbewertungen« abgeben, »die unweigerlich zu einer Bestätigung der Zertifizierung der Fischerei führen«, urteilen die Prüfer in ihrem Bericht deutlich: »Die Erfahrung hat einige beunruhigende systematische Fehler aufgedeckt, die das Vertrauen der WWF über die Allgemeingültigkeit von MSC als Hebel für die Verbesserung der Fischereiorganisation unterminieren.«

Die schweizerische Organisation fair-fish kritisierte derweil das Gütesiegel des Aquaculture Stewardship Council (ASC) für Zuchtfisch: »Dass der ASC bei Fischzuchten sogar ›Ausfallraten‹ von 35 Prozent akzeptiert, wirft Fragen auf.« Auf einer ASC-Fischfarm bei Sumatra würden lebende Fische über Stunden in brütender Hitze zum Schlachthof transportiert. Zuvor würden sie mit hoher Todesrate in Netzkäfigen gehalten, aus denen »ein Cocktail aus Futterresten mit teilweise äußerst bedenklichen Zusatzstoffen, Kot, Antibiotika« ins Meer fließe. Fair-fish forderte den ASC auf, bei der Bewertung verstärkt Tierschutzkriterien einfließen zu lassen und keine Netzkäfighaltung mehr zu akzeptieren.

Karoline Schacht vom WWF empfiehlt, zur Senkung der Importquote auf die heimischen Gewässer zu setzen, was allerdings eine Gesundung des Fischbestands innerhalb der EU-Fanggründe voraussetzt. Die Studie der Uni Kiel verweist auch auf die vegetarische Alternative: »Selbst wenn wir in Europas Norden auf Fisch gänzlich verzichteten, würden wir keinen Proteinmangel erleiden.«