nd-aktuell.de / 06.02.2017 / Politik

Widerstand gegen Abschiebungen nach Afghanistan wächst

Bundesländer äußern Bedenken wegen Sicherheitslage am Hindukusch / Schwarz-Rot will an Praxis festhalten

Berlin. Unter den Bundesländern wächst der Widerstand gegen die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan. Auslöser dafür sind Berichte der Vereinten Nationen[1] über eine sich verschlechternde Sicherheitslage in dem Krisenstaat. Nach Schleswig-Holstein und Berlin zweifeln inzwischen auch Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz an der Sicherheitslage in dem umkämpften Land, wie die Zeitungen der Funke Mediengruppe berichten.

Demnach erklärte Niedersachsens Innenministerium auf Anfrage, dass derzeit Rückführungen nach Afghanistan »im Zweifel bis zur Klärung der Sicherheitslage zurückgestellt werden«. Dies gelte aber nicht für ausreisepflichtige Straftäter. Auch aus Rheinland-Pfalz werden derzeit nur Straftäter und sogenannte Gefährder nach Afghanistan abgeschoben. »Der neueste Bericht des UN-Flüchtlingswerks bestärkt das Ministerium in dieser Haltung«, erklärte ein Sprecher. Die Bremer Innenbehörde beruft sich den Funke-Zeitungen zufolge ebenfalls auf die Sicherheitslage: »Zurzeit schiebt Bremen nicht nach Afghanistan ab, da die Einzelfallprüfungen bislang jeweils Abschiebehindernisse zum Ergebnis hatten, darunter waren auch Sicherheitsbedenken«, so ein Sprecher.

Das Bundesinnenministerium hatte nach Abschluss eines »Rückführungsabkommens« mit Kabul im Oktober die Bundesländer aufgefordert, abgelehnte Asylbewerber konsequent abzuschieben. Im Dezember wurde mit Sammelabschiebungen begonnen. Das Vorgehen ist umstritten, weil sich in weiten Teilen Afghanistans Regierungstruppen und radikalislamischen Taliban bekämpfen. Auch die Anschlagsgefahr ist groß.

Wie die UN-Mission in Afghanistan am Montag mitteilte, erreichte die Zahl ziviler Opfer bei Kämpfen und Angriffen im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand. Demnach gab es 2016 fast 11.500 zivile Tote oder Verletzte, ein Drittel davon waren Kinder. Die Mission dokumentierte nach eigenen Angaben fast 3500 Todesopfer und mehr als 7900 Verletzte. Das war ein Anstieg von drei Prozent gegenüber 2015.

Die Bundesregierung sieht derzeit keinen Grund, ihre Haltung zu Abschiebungen nach Afghanistan in Frage zu stellen. Im vergangenen Jahr seien mehr als 3000 Menschen angeblich freiwillig zurückgekehrt, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in diesem Zusammenhang. »Wir können nicht einfach sagen, nach Afghanistan wird nie jemand wieder zurückgeführt«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Samstag auf dem Parteitag der schleswig-holsteinischen CDU in Neumünster. »Dass die Landesregierung von Schleswig-Holstein hier eine andere Entscheidung fällt, ist nicht in Ordnung nach meiner festen Überzeugung.«

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums wies darauf hin, dass die Länder »sehr transparent und fortlaufend« über Erkenntnisse der Bundesregierung zur Sicherheitslage am Hindukusch informiert würden. Abschiebemaßnahmen seien das Ergebnis vielschichtiger Prüfungen. Agenturen/nd

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1040927.un-ueber-kinder-in-afghanistan-im-jahr-getoetet.html