Women’s March

Ein Streifzug durch die Geschichte der US-Frauenemanzipation

  • Victor Grossman
  • Lesedauer: 8 Min.

Was wären die Männer ohne Frauen?«, wurde Mark Twain einmal gefragt. Seine Antwort kam schnell: »Sie wären rar, mein Herr, äußerst rar!«

Es gab damals wenig frauenfreundliche Äußerungen, auch aus dem Weißen Haus nicht. So äußerte US-Präsident Theodore Roosevelt (1901 bis 1909): »Es gibt gewisse alte Wahrheiten, die so lange bleiben werden, wie diese Welt noch existiert, und die kein Maß des Fortschritts abändern kann. Eine davon ist die Wahrheit, dass es die erste Pflicht des Ehemanns ist, für seine Frau und Kinder der Brotverdiener zu sein, und dass die primäre Pflicht der Frau es ist, die Helferin, die Hausfrau und Mutter zu sein.« Er räumte ein, dass die Frau »Bildungsmöglichkeiten« erhalten sollte, doch nur bis zu »einem gewissen Punkt«. Das lehnten natürlich viele Frauen entschieden ab. Zu jener Zeit, als »Teddy«, wie dieser Präsident genannt wurde, dies sagte, wurde gerade heftig für das Frauenwahlrecht demonstriert.

Es begann in einer kleinen Kirche in Seneca Falls, im Bundesstaat New York. Am 19./20. Juli 1848 trafen sich unter dem Vorsitz von Elizabeth Cady Stanton engagierte Frauen, die nicht mehr bereit waren, Diskriminierung hinzunehmen und die Seneca Falls Convention, eine Deklaration über soziale und bürgerliche Rechte, verabschiedeten. 1866 gründete Stanton dann mit Susan B. Anthony und Lucy Stone sowie dem ehemaligen Sklaven und Schriftsteller Frederick Douglas, der auch schon in Senece Falls dabei war, eine Organisation, die den Kampf um Frauenrechte mit dem für die Rechte der Schwarzen vereinigen sollte.

Das Bündnis zwischen Frauenrechtlerinnen und Abolitionisten, wie sich die Streiter für die Abschaffung der Sklaverei nannten, zerbrach nach drei Jahren an inneren Differenzen. Einige Frauen, darunter die Stanton, meinten, Frauenwahlrecht sei wichtiger als die Gleichberechtigung der Schwarzen und Einwanderer. Deren bisheriger Mitstreiter Douglas, der das Wahlrecht der Frau »so heilig wie das des Mannes« ansah, äußerte sich nun enttäuscht über deren Ansicht, »dass kein Schwarzer das Stimmrecht erhalten soll, ehe es auch die Frau erhält«. Er argumentierte: »Während der Schwarze gedrängt, geschlagen, erstochen, gehängt, verbannt und zur Zielscheibe von allem wird, was im Norden boshaft und im Süden mörderisch ist, kann ich seine Forderungen bevorzugen, ohne dass ich mich auf irgendeine Weise dem Vorwurf aussetze, Engstirnigkeit oder Niedrigkeit gegenüber der Sache der Frau zu zeigen.«

Es konkurrierten danach zwanzig Jahre lang zwei neue Organisationen miteinander: Stantons National Woman Suffrage Association, die sich auf das Frauenwahlrecht beschränkte und keine männlichen Mitglieder aufnahm, und die von der Frauenrechtlerin und Abolitionistin Lucy Stone mit Douglas gegründete American Woman Suffrage Association, die auch Männer zu ihren Mitgliedern zählte und das Wahlrecht zunächst für schwarze Männer und sodann auch für Frauen erkämpfen wollte. Erst unter Stones Tochter vereinigten sich dann beide Organisationen 1890.

Als nächstes betraten zwei außerordentlich bemerkenswerte Frauen die Bühne: die Quäkertochter Alice Paul und Lucy Burns aus Brooklyn. Letztere hatte in Berlin und Bonn studiert und war sodann zu weiteren Studien nach England gegangen. Dort erlebte sie den machtvollen Kampf britischer Frauen um ihre Rechte. Bei einer Demonstration verhaftet, lernte sie auf einem Londoner Polizeirevier ihre Landsmännin Alice Paul kennen, die ebenfalls in England studierte und gleichfalls bei einer Kundgebung verhaftet worden war. Aus der Zufallsbekanntschaft wurde eine lebenslange Freundschaft.

Zurück in den USA traten Alice Paul und Lucy Burns gemäß den britischen Erfahrungen für ein energischeres Vorgehen in der Wahlrechtsfrage ein. Für den Tag der Amtseinführung von Woodrow Wilson als 28. Präsident der Vereinigten Staaten am 3. März 1913 organisierten sie eine große Demonstration. Als Wilson in Washington eintraf und ihn keine Menschenmenge begrüßte, erhielt er auf seine verwunderte Nachfrage die Antwort: »Alle sind auf der Pennsylvania Avenue, um die Frauenwahlrechtparade anzuschauen.« Diese verlief eindrucksvoll wie dramatisch. Angeführt wurde sie von einer auf einem Schimmel reitenden Frau, es folgten fünf Brigaden zu Ross, neun Kapellen, 26 Festwagen und etwa 8000 Frauen, gegliedert nach Berufen und erkennbar zumeist auch schon an ihrer Berufsbekleidung. Mit dabei waren Vertreterinnen aus Aus-tralien, Neuseeland, Indien und einigen anderen Ländern.

Die imposante »Woman Suffrage Procession« kam nur mühselig voran. Die Frauen mussten sich jeden Schritt erkämpfen. Sie wurden von hasserfüllten, brüllenden Männern tätlich angegriffen. Die Polizei verlor die Kontrolle oder prügelte gar mit. Studenten kamen zu Hilfe. Am Ende musste die Nationalgarde eingreifen. Bei den Auseinandersetzungen wurden mehr als 200 Menschen verletzt. Die Frauen hatten dennoch einen Sieg zu verbuchen. Sie kamen in die Medien und waren in aller Munde. Manche Damen jedoch hatte die in Gewalt endende Parade verschreckt.

Burns und Paul gründeten daher eine eigene Organisation, die Congressional Union for Women Suffrage, die ab 1916 regelmäßig schweigende Mahnwachen vor dem Weißen Haus abhielt. Zeigte sich Wilson über diese anfangs noch »amüsiert«, so wurden die Frauen nach dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg als »Landesverräterinnen« beschimpft. 34 Frauen wurden wegen angeblicher »Verkehrsbehinderung« zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Alice Paul wurde gar als »geistesgestört« in die Psychiatrie eingewiesen. All dass konnte die mutigen Streiterinnen ebenso wenig von ihrem Kampf abhalten wie Zuchthaus und Gefängnis in Deutschland Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Genossen.

Die Haftbedingungen der anderen waren katastrophal. Als Lucy Burns gegen die Rattenplage in ihrer Zelle protestierte, fesselte man sie mit den Handschellen über den Kopf eine ganze Nacht lang an die Zellentür. Aus Solidarität mit ihr stand ein Mithäftling in gleicher Stellung nächtens durch. Die inhaftierten Frauen traten in einen dreitägigen Hungerstreik. Den Versuch der Gefängniswärter, sie mit dem Vorbeitragen von duftenden, verlockenden Gerichte zu brechen, kommentierte Lucy Burns mit den Worten: »Sie glauben, in unseren Seelen gäbe es nichts Höheres als Brathähnchen.« Fünf Wärterinnen haben sie daraufhin äußerst schmerzhaft zwangsgefüttert.

Das alles führte zu öffentlicher Empörung. Die Frauen kamen frei und kämpften weiter. Wilson begriff, dass die Stimmen der Frauen für seine Demokratische Partei nützlich sein konnten und wirkte nun darauf ein, dass der Kongress und die nötige Zahl der Bundesstaaten 1919 einer entsprechenden Verfassungsänderung zustimmten. Ab 1920 durften dann endlich in den ganzen USA Frauen vom Wahlrecht Gebrauch machen.

In den nächsten zwei Jahrzehnten ging es um Gewerkschaftsrechte, höhere Löhne, Acht-Stunden-Tag, Sozialversicherungen. Die Frauen standen ihren streikenden Männern bei, so 1937 beim wochenlangen Sitzstreik bei General Motors in Flint (Michigan). Die Frauen versorgten die Streikenden in den besetzten Fabriken nicht nur mit Essen, sondern schützten sie - vor den Werktoren mit roten Baskenmützen und Armbinden marschierend und teils mit Stöcken bewaffnet - auch vor Streikbrechern. Dabei mussten sie sogar Tränengasangriffen trotzen.

Mit dem Eintritt der USA 1941 in den Zweiten Weltkrieg kamen Millionen Männer in Uniform. Frauen nahmen deren Plätze in den Fabriken ein. Neben den Hollywood-Schönheiten wurden als Werbefiguren nun auch Arbeiterinnen entdeckt, so »Rosie the Riveter« (Rosie, die Nieterin). Als 1945 die Männer aus dem Krieg zurückkehrten, sollten sie jedoch wieder zurück ins Heim und an den Herd verbannt werden. Das schmeckte den selbstbewusster und selbstständiger gewordenen Frauen nicht. Doch die maßgeblich von Linken, vor allem Kommunisten, angeführte Frauenemanzipation wurde aber in den eisigen Jahren des Kalten Kriegs und durch die Repressionen der McCarthy-Ära erstickt.

Mit der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre, für die namentlich nicht nur Malcolm X und Martin Luther King stehen, sondern auch Rosa Parks aus Alabama, die mit individuellen Aktionen gegen die Rassentrennung in Bussen und Zügen demonstrierte, insbesondere aber auch mit der Anti-Vietnamkriegsbewegung erstarkte die feministische Bewegung erneut. Beflügelt wurde sie durch den 1963 erschienenen Bestseller von Betty Friedan »Feminine Mystique«, der in viele Sprachen übersetzt wurde (deutsch: »Der Weiblichkeitswahn«). 1966 wurde ein neuer Verband, die National Organization of Women, gegründet, deren Zeitschrift den programmatischen Titel »NOW« trug.

Es folgte eine Niederlage und ein Sieg: Für einen Verfassungszusatz, den Equal Rights Amendment, fehlte - anders als beim Frauenwahlrecht 1919 - die nötige Dreiviertel-Mehrheit der Staaten. Dafür beschloss der Oberste Gerichtshof 1973 (zehn Monate nach einem ähnlichen Gesetz der DDR-Volkskammer) das Recht der Frauen auf Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate. Diese Niederlage haben Fanatiker bis heute nicht akzeptiert. Mehrere Bundesstaaten haben das Gesetz inzwischen eingeschränkt. Kliniken, die Abtreibungen vornehmen, werden regelmäßig belagert, Ärzte bedroht oder gar ermordet.

Mit dem Amtsantritt von Donald Trump wittern die Fanatiker Morgenluft. Der neue Präsident hat einen Obersten Richter nominiert, der die Entscheidung von 1973 kippen will. Vielerorts herrscht bereits ein regelrechter Krieg gegen emanzipierte Frauen. Die Preise für Verhütungsmittel sollen unerschwinglich werden, die »Pille danach« ganz vom Markt verschwinden, zugleich soll die Sozialhilfe für arbeitslose Mütter gekürzt und Frauenarbeit weiter niedriger belohnt werden.

Dagegen protestierten beim Women’s March am 21. Januar dieses Jahres mehr als zwei Millionen im ganzen Land, davon fast eine halbe Million in Washington. Allerdings sah man unter den rosa Mützen vornehmlich weiße und nur wenige farbige Gesichter. Das liegt nicht daran, dass schwarze Frauen apolitisch sind. Dem widersprechen stellvertretend die nach wie vor aktive Bürgerrechtlerin Angela Davis und Nina Turner aus Ohio, die im Wahlkampf Bernie Sanders unterstützte. Ebenso das von drei jungen Frauen nach jüngster Polizeiwillkür gegen Afro-Amerikaner gegründete Netzwerk »Black Lives Matter« (Schwarze Leben zählen).

Es ist dringend nötig, dass die Frauen vom 21. Januar sich mit den schwarzen Organisationen und anderen Ausgeplünderten und Entrechteten zusammentun: mit den vielfach von Frauen angeführten Indianergruppen, die um Land und Wasser kämpfen, mit den schuldenbelasteten Studenten und Studentinnen, mit den Latinas und Latinos sowie den bei McDonalds oder Walmart um einen Mindestlohn kämpfenden Beschäftigten, mit Gewerkschaften, Umweltschützern und Friedensgruppen. Dann besteht Hoffnung, Trump zu stoppen.

Von unserem Autor, 1928 in New York geboren und 1952 aus der US-Armee in in die DDR desertiert, erschien 2013 bei PapyRossa »Rebel Girls. 34 amerikanische Frauen im Porträt« (15,90 €).

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