nd-aktuell.de / 20.02.2017 / Sonntagsschuss / Seite 4

Strafen nach Dorffest-Logik

Christoph Ruf über Kollektivstrafen und den Bayern-Bonus

Christoph Ruf

Dieser Spieltag warf gleich zwei spannende Fragen auf. Eine stellte sich in Berlin, die wichtigere in Dortmund. Wer die Schlussphase im Olympiastadion sah, ahnte ja, was passieren würde: Die Bayern würden ausgleichen, und wenn es dafür dunkel werden müsste am Himmel überm Berliner Westend. Und so kam es sechs Minuten nach Ende der regulären Spielzeit dann ja auch.

Womit wir beim Schiedsrichter wären, an dem es aber natürlich nicht alleine lag, dass Hertha doch noch zweier Punkte verlustig ging. Zum ersten betrieben die Berliner Zeitspiel und Simulieren bis zum Exzess, weshalb die lange Nachspielzeit nur recht und billig war. Und zum zweiten wäre Lewandowskis Tor nicht gefallen, wenn Hertha Arjen Robben vor seinem Schuss nicht so frei stehen lassen hätte, wie es selbst in der Landesliga nicht ungestraft passieren darf.

Und dennoch hat wohl jeder, der in den vergangenen Jahrzehnten Fußball geschaut hat, das gleiche Gefühl: Das Tor wäre bei exakt gleichem Spielverlauf nicht gefallen, wenn Hertha gegen Frankfurt oder Köln gespielt hätte. Einfach, weil alle Spieler dann zwei Minuten früher in der Kabine gewesen wären. Hertha-Coach Pal Dardai hat also Recht, wenn er von einem Bayern-Bonus spricht. Oder glaubt irgendjemand, dass Franck Ribéry in der vergangenen Saison nicht mindestens zwei Mal vom Platz geflogen wäre, wenn er für Ingolstadt oder Bremen spielen würde? Die Frage, ob es einen Bayern-Bonus gibt, ist deshalb so spannend wie die, ob Horst Seehofer in der CSU ist.

Spannender ist, warum es diesen Bonus gibt. Ich glaube da ganz entschieden nicht an eine der gängigen Verschwörungstheorien. Wahrscheinlicher scheint mir eine leider allzu menschliche Mixtur aus Verunsicherung und Rückgratlosigkeit, die an anderen Arbeitsplätzen dazu führt, dass ein C-Promi an der Bar eines Clubs anders behandelt wird als Mandy Müller. Wer als Schiedsrichter einen Pekarik, Bell oder Baier vom Platz stellt, weil er eine vermeintliche Tätlichkeit erkannt hat, bekommt das Recht auf Irrtum eingeräumt - oder allenfalls eine kritische Randbemerkung in der Lokalzeitung. Wer Ribéry zu Unrecht vom Platz stellt, steht tagelang im nationalen Shitstorm. Also bleibt Ribéry auf dem Platz, wenn es nur den geringsten Restzweifel gibt. Und wo gäbe es den nicht, wenn Menschen sich auf menschliche Sinne verlassen müssen? So war es, so ist es und so wird es weiter sein.

Doch jetzt zu Wichtigerem, zu Dortmund, wo man mal eben 24 000 Menschen das Recht verwehrte, ein Fußballspiel zu sehen, für das sie bezahlt haben. Wie absurd derlei Kollektivstrafen sind, lässt sich allein daran festmachen, dass am Samstag große Teile der Ultraszene eben doch im Stadion waren (nur eben in geöffneten Sektoren), während Mandy Müller und Robert Schatkowski vom Umland-Fanklub, die von den Ausschreitungen in der Vorwoche nur aus den Medien erfahren haben, ausgesperrt blieben.

Doch es geht hier nicht um den konkreten, sondern um den grundsätzlichen Schwachsinn von Kollektivstrafen. Und um die Haltung weiter Teile der linksliberalen Öffentlichkeit. Zurecht ist dort der Aufschrei groß, wenn Trump Muslimen die Einreise verweigern will, weil ein beträchtlicher Teil der tödlichen Anschläge 2016 auf das Konto von Muslimen ging. Wer in Deutschland Strafen nach dem Dorffest-Motto »Alle in einen Sack, draufschlagen, trifft schon den Richtigen« fordert, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit in der AfD und wird dafür von »taz« bis »heute show« ein paar Wochen lang an den Pranger gestellt.

Geht es aber um Fußballfans, ist diese Logik plötzlich Staatsräson. Ein Kommentator schreibt, die Tribünensperre sei »ungerecht, aber richtig«, eine Wendung, die man sich gerne auch laut vorlesen kann, ohne sie zu verstehen. »Wer nicht hören will, muss fühlen«, schreibt ein anderer, der seit Jahrzehnten Rechtsstaatlichkeit und das individuelle Recht auf politisches Asyl angemahnt hat, wo andere »Ausländer raus« blöken. Fragt sich nur, warum derjenige fühlen muss, der nur neben jemandem steht, der taub ist.

Wer aus seiner Wohnung fliegt, weil er keine Miete bezahlt, sollte sich nicht beschweren. Aber wenn den anderen 39 Mietern im Block gleich mit gekündigt wird, ist das eine Ungerechtigkeit - mit Folgen: Vielleicht sind die 39 danach nicht gut zu sprechen auf den säumigen Nachbarn. Aber ganz sicher sind sie stinkesauer auf den Vermieter.