nd-aktuell.de / 25.02.2017 / Kultur / Seite 22

Blick in ferne Welten

Von Handwerkern, Gelehrten und dem steilen Aufstieg eines Autodidakten

Er wurde als elftes Kind eines Glasermeisters in der Nähe von München geboren. Bereits mit zwölf Jahren verlor er beide Eltern und kam in die Obhut eines Vormunds, nach dessen Vorstellungen er eigentlich Drechsler hätte werden sollen. Da er für diesen Beruf aber zu schwach war, trat er in die Fußstapfen seines Vaters und erlernte das Handwerk der Glasverarbeitung.

Schon während seiner Lehrzeit verspürte er einen starken Wissensdrang. Doch sein Meister untersagte ihm das Lesen von Büchern und den Besuch der Sonntagsschule. Als er 14 Jahre alt war, stürzte das Haus ein, in dem er arbeitete, und er wurde unter einem Schuttberg begraben. Wie durch ein Wunder überlebte er das Unglück. Bei seiner Rettung war der spätere König von Bayern zugegen, der ihm großzügig 18 Dukaten schenkte. Das Geld verwendete er für die Anschaffung einer Glasschneidemaschine sowie dazu, sich von seinem Lehrherrn freizukaufen. Dank der Unterstützung eines wohlmeinenden Fabrikanten durfte er endlich die Sonntagsschule besuchen. Er vertiefte sich in mathematische und optische Fachbücher und erlangte im Schleifen von Linsen eine erstaunliche Perfektion. Mit 19 Jahren wurde er als Optiker an ein mathematisch-feinmechanisches Institut empfohlen, das sich auf die Herstellung astronomischer und geodätischer Instrumente spezialisiert hatte.

Aufgrund seiner Begabung und Zielstrebigkeit übertrug man ihm bereits drei Jahre später die Leitung der dem Institut angeschlossenen Glashütte. Hier entwickelte er neue Schleifmaschinen sowie hochwertige optische Gläser, die unter anderem in Feldstechern, Fernrohren und Mikroskopen zum Einsatz kamen. Sein Name und sein Können sprachen sich alsbald herum in Europa. Bedeutende Gelehrte und Politiker wie der Mathematiker Carl Friedrich Gauß und der russische Zar Alexander I. besuchten ihn in seiner Werkstätte. Aus dieser stammte auch das damals größte Fernrohr der Welt, das an der kaiserlich-russischen Sternwarte in Dorpat installiert wurde. Mit einem zweiten, baugleichen Modell entdeckte der deutsche Astronom Johann Gottfried Galle in Berlin den Planeten Neptun. Auch der von uns Gesuchte nutzte seine Instrumente, um Wissenschaft zu betreiben. Mit selbst gefertigten Prismen gelang es ihm beispielsweise, die spektrale Zusammensetzung des Lichts zu demonstrieren. Zwar hatten schon andere Forscher vor ihm im Sonnenspektrum dunkle Linien beobachtet. Doch erst er erkannte, dass diese Linien zur Natur des Sonnenlichts gehören. Er legte damit gleichsam den Grundstein für die Spektralanalyse, eine der wichtigsten Methoden zur Erforschung weit entfernter kosmischer Objekte. Außerdem stellte er mit Hilfe eines Diamanten ein feines Beugungsgitter her und war damit in der Lage, die Wellenlänge des Lichts verschiedener Farben mit hoher Präzision zu bestimmen.

Obwohl er nie eine Universität oder Hochschule besucht hatte, wurde er gegen den anfänglichen Widerstand einiger Wissenschaftler als Vollmitglied in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen und zum Professor des physikalischen Kabinetts ernannt. Darüber hinaus schlug ihn der bayerische König zum Ritter des Zivildienstordens und erhob ihn damit in den Adelsstand. Er war noch keine 40, da erkrankte er an Lungentuberkulose. Sein Leiden verschlimmerte sich, als er völlig durchnässt von einer Floßfahrt auf der Isar nach Hause zurückkehrte. Harte Arbeit und giftige Chemikalien hatten seinen Körper so geschwächt, dass er sich nicht mehr von der Krankheit erholte. Mit 39 Jahren starb er. Auf seinen Grabstein setzten Freunde die Inschrift »Approximavit sidera«, was so viel bedeutet wie: »Er brachte uns die Gestirne näher«. Heute tragen ein Mondkrater, eine Münchner U-Bahn-Station und die größte Organisation für angewandte Forschung und Entwicklung in Europa seinen Namen. Wer war’s?