Vom Verschwinden einer Welt

Burkhard Spinnen hat ein Buch über das Buch geschrieben

  • Werner Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Pünktlich zu seinem 60. Geburtstag im vergangenen Dezember hat Burkhard Spinnen sich selbst, seinen Lesern und seinem Verleger, der ihm seit 25 Jahren die Treue hält, dieses Geschenk vorgelegt: einen kleinen Entwicklungsroman in 42 kurzen Kapiteln über die eigene Bücherliebe. Spinnen erzählt davon, wie er, aus eher kleinbürgerlich-bildungsfernen Verhältnissen stammend, an die ersten eigenen Bücher (Gustav Schwab, Karl May oder ein »richtiges teures« Buch über Segelschiffe) gekommen ist, aber auch von Besuchen in der Mönchengladbacher Stadtbibliothek und davon, wie er seinen Vater dazu überredet hat, einen Mitgliedsausweis zu beantragen, nur damit der Filius mit dem fremden Ausweis an die nach Altersgruppen sortierten Bücher für Erwachsene gelangt. Auch vom generationstypischen post-68er Bücherklau und den Raubdrucken ist die Rede. Untergründig erzählt Spinnen nicht nur seine frühe Lektüresozialisation, sondern - einmal auf die Spur gesetzt und in seinem Fall nicht durch ein Germanistikstudium gleich wieder getrübt - eine amour fou zum Buch und allem, was dazu gehört.

Er sei geradezu der Bibliomanie verfallen, was Spinnen in hübschen Kapiteln über die Suche nach Erstausgaben (und noch unaufgeschnittenen Büchern) und dem Stöbern auf Flohmärkten und in Antiquariaten zeigt. Dabei gelingen ihm treffliche Formulierungen wie die über Flohmärkte als »Refugien des flanierenden Bücherkaufs« oder über »das gelesene Buch«, das »ein Teil der Geschichte seines Lesers« ist. »Jeder Text ist eine Welt aus Sprache, zugleich ist er für den Leser das Tagebuch seiner Reise durch die Welt.«

Als Schriftsteller weiß Spinnen, wovon er redet, und er formuliert seine kurzen Texte und prägnanten Schilderungen unter den Bedingungen einer durch und durch digitalisierten Welt, in der die Gutenberg-Galaxis unterzugehen droht, um einem Universum der Datenströme und vernetzter Informationen Platz zu machen. Sichtbar ist dies auch daran, dass das gute alte Lexikon, etwa die Brockhaus-Enzyklopädie, aus den bürgerlichen Wohnzimmern verschwunden ist samt der Vorstellung dahinter, dass die Ordnung der Welt in Wohnzimmerregale oder Bücherschränke hineinpasst.

Spinnen habe, bemerkt sein Verleger nach der ersten Lektüre des Buches, einen melancholischen Text geschrieben - und Spinnen bekennt sich in seinen Schlussbemerkungen ausdrücklich dazu. Er erfahre »das allmähliche Abdanken eines Leitmediums und damit das Abdanken einer Welt, die ich in der ersten Hälfte meines Lebens noch für alternativlos gehalten habe. Das muss melancholisch stimmen, genau wie die Erfahrung, dass man selbst älter wird und das Leben sich als spürbar endlich erweist.« Ein schönes, ein kluges Buch.

Burkhard Spinnen: Das Buch. Eine Hommage. Mit Illustrationen von Line Hoven. Schöffling, 144 S., geb., 15 €.

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