nd-aktuell.de / 04.03.2017 / Kommentare / Seite 2

Pressefreiheit versus Identifikation mit dem Angreifer

Leo Fischer über die Unfähigkeit von Journalisten zur Solidarität mit einem in der Türkei inhaftierten Kollegen

Leo Fischer

Kurzfristig ist die AfD auf acht Prozent gefallen, ihr schlechtester Wert seit Jahren. Die vage Aussicht, dass Martin Schulz irgend etwas an Hartz IV zu verbessern gedenke, hat viele wieder mit dem Lügensystem versöhnt. Aber so sicher, wie Schulz an Hartz IV allerhöchstens das ALG I sanieren wird und nicht die erbarmungslose Hölle, die ALG II heißt, so sicher bleibt das Milieu erhalten, das die AfD herangezüchtet hat; bereit, jederzeit wieder aufzutauchen, wenn die Großwetterlage danach ist.

Kaum ist noch die Erinnerung daran vorhanden, dass die AfD als liberale, euroskeptische Partei gestartet war. Wer noch Zweifel hatte, ob es sich nicht nur um eine rechtskonservative Partei mit einigen irrlichternden Gestalten handele, konnte sich in der Affäre Deniz Yücel eines Besseren belehren lassen. Die Kommentare der AfD-Anhänger sympathisierten ganz offen mit Erdogan, empfanden antideutsche Äußerungen Yücels als Hetze und wünschten ihm eine möglichst lange Haftstrafe - die sei auch nur rechtens, da er ja ohnehin Türke und kein richtiger Deutscher sei.

Man braucht das gar nicht mehr groß interpretieren: Die Partei ist so weit rechts, dass sie nicht einmal einen traditionellen Verfassungspatriotismus pflegt, sondern einen blutmäßig-rassischen. Jeden richtigen Konservativen müsste die Tatsache, das ein deutscher Staatsbürger wegen seiner journalistischen Arbeit in willkürliche Haft gerät, schon deswegen empören, weil dies eben die Souveränität des eigenen Staates hinterfragt; den AfD-Anhängern ist sie wurscht, solange einer nur die richtige Hautfarbe und den richtigen Namen hat. Und dass sie Erdogans Polizeistaat lieber früher als später auch hier verwirklicht sähen, daraus machen sie keinen Hehl: Erhalten sie im Internet Widerworte, brüllen sie »Meinungsfreiheit«; schreibt einer etwas, was ihnen missfällt, wünschen sie ihm den Kerker.

Doch sitzen Durch das gesamte Spektrum der Medienerzeugnisse hindurchdie größten Feinde Yücels nicht in der AKP oder der AfD, sondern in den Büros der alten Kollegen. Durch das gesamte Spektrum der Medienerzeugnisse hindurch zeigte sich die Unfähigkeit, ein Mindestmaß an Solidarität mit einem verfolgten Journalisten aufzubringen. In der »FAZ« wurde zunächst gefragt, warum von den Redaktionen immer nur Türken in die Türkei geschickt werden, sodass der »Türke vom Dienst« letztlich implizit selber schuld war an seiner Haft - wäre er doch nach Japan gefahren! Dann verweigert die Herausgeberschaft derselben Zeitung den Abdruck einer Solidaritätsanzeige für Yücel - weil die Organisatoren offenbar ihr Anliegen nicht demütig genug vorgebracht und bei der Nennung der Mitunterzeichner Fehler gemacht hatten.

In der »Süddeutschen« wurde dagegen klargestellt, dass der Journalist Yücel in Wirklichkeit eher ein Aktivist war - der türkische Staatsanwalt wird dankbar sein, dass ihm München noch den Strick liefert, an dem er Yücel aufhängen kann.

Als vorläufiger Höhepunkt im Ballett der Missgunst muss ein Artikel aus dem »Freitag« gewertet werden, in welchem der Autor gewunden erklärt, dass er diesen Beitrag eigentlich gar nicht verfassen dürfte, weil er ja früher mit Yücel zusammengearbeitet habe, und ansonsten dem Springer-Verlag die Schuld an der Verhaftung gab: Die Redaktion hätte Yücel gar nicht erst zurück nach Ankara schicken dürfen. Dass Yücel selbst, in Kenntnis der Gefahr, auf eigene Faust zurück in die Türkei ging, spielt keine Rolle - Springer hat ihn sozusagen ins Gefängnis gepresst. Bei Markus Lanz hörte man dann, Yücel hätte sich besser über die Rechtslage in der Türkei informieren sollen, so als gäbe es ein Gesetz selbst in Erdogans Türkei, welches das Weitererzählen von Kurdenwitzen verbiete.

Hinter all diesen Verdruckstheiten steht letztlich ein aus der Psychologie bekanntes Phänomen: die Identifikation mit dem Angreifer. Ja, Pressefreiheit ist wichtig, aber hier liegt leider ein besonderer Fall vor: Hier war es ein Türke vom Dienst, ein Aktivist, ein Springer-Knecht, noch dazu ohne Kenntnis der Rechtslage - da kann man leider herzlich wenig tun, der Ankläger ist im Recht. Der »Freitag«-Autor beschwor noch die Neutralität der Berichterstattung; seine medienethischen Überlegungen dazu, ob er als Kollege Yücels über ihn schreiben dürfe, führten in letzter Konsequenz dazu, dass alles, was außerhalb der Nachricht steht, schon kein Journalismus mehr ist, sondern interessengeleitet, also Aktivismus - und schon wieder hat Erdogan recht. Kurz und ungut: Die AfD muss die Pressefreiheit in Deutschland gar nicht mehr abschaffen. Sie wird mangels Interesse schon nicht mehr genutzt.