Ich bin ein Berliner

  • Lesedauer: 3 Min.

Es soll Leute geben, die zuerst einen Bäcker aufsuchen, wenn sie nach Berlin kommen. Fälschlicherweise nehmen sie an, dort am ehesten einen echten Berliner anzutreffen. Dabei findet man in keiner einzigen Berliner Bäckerei einen Berliner. Jedenfalls nicht zwischen den Streuselschnecken und Spritzringen. So hartnäckig sich das Gerücht auch hält, John F. Kennedys berühmter Ausruf sei mit den Worten »I’m a jelly-filled doughnut« korrekt ins Englische übersetzt: Der Präsident hat sich bestimmt nicht zum Krapfen gemacht, als er behauptete, ein Berliner zu sein. Nein, liebe Touristen und Zugezogene, da sitzt ihr einem gewaltigen Irrglauben auf. Merkt es euch ein für allemal: Was ihr für einen Berliner haltet, ist ein Pfannkuchen! Was ihr für einen Pfannkuchen haltet, ist ein Eierkuchen! Und es heißt nicht viertel vor, es heißt dreiviertel sieben!

Neulich verschlug es mich in eine dieser hippen Feinbäckereien in Friedrichshain, die ich sonst meide wie der Fisch den Strand. Für gewöhnlich habe ich nur einen Blick aus dem Augenwinkel für die papageifarbenen Leute übrig, die sich hinter der Scheibe gegenseitig auf den Füßen stehen und um den raren Sauerstoff konkurrieren, während ich draußen einen tiefen Zug Frischluft genieße. Kein Geschäft in der Gegend ist derart überlaufen. Außer vielleicht das vegane Burger-Restaurant, in dem ich auch noch nie war.

Ich machte mich also auf das Schlimmste gefasst, als ich an jenem Abend in die Konditorei kam, um eine Torte für einen runden Geburtstag vorzubestellen. Besondere Ereignisse erfordern besondere Maßnahmen, dachte ich mir und sprang über meinen Schatten ins Ladeninnere. Zu meinem Erstaunen war es dort vollkommen leer. In der Auslage wartete ein vergessenes Gebäckstück darauf, dass es abgeholt würde. Wenn das hier ein Flugplatz wäre, hätte ich auf eine polizeiliche Evakuierung getippt. Nichts war zu hören, nur das Ticken der Zeitbombe in meinem Kopf. Dann endlich im Hinterzimmer ein genervtes Klappern, dessen Urheber sich schließlich auch blicken ließ. »N’ambd!« blaffte er mich freundlich an.

Ich trug dem hageren Verkäufer mein Anliegen vor, woraufhin er unter den Tresen griff und eine dicke Mappe voller Tortenbilder in Klarsichtfolien auf den Tresen knallte. Ich schlug irgendeine Seite auf, tippte mit meinem Zeigefinger auf den Schoko-Pistazien-Kuchen, der darauf abgebildet war, und entschied: »Den nehmick.« Der Mann zog die Winkel seines schiefen Mundes nach oben und wir kamen ins Plaudern: »Ooch Berliner?« - »Hm.« - »Jibs ja nich mehr so fülle in die Jejend.« - »Nee.« - »Werdick unsan Konditor sagen, ditte von hier bist, denn jibta sich mehr Mühe.« - »Jut.«

Ich hatte mich schon der Tür zugewandt, als der Verkäufer mich wissen ließ, woran er echte Berliner erkennt: »Die wolln ne Schrüppe und keen Hefe-Dinkel-Vollkornbrötchen. Die intressiean sich nich für Chili-Banane und son Scheiß. Die bestelln einfach ’n Brot.« Ich nickte höflich und dachte bei mir: Sieh an, Berliner sein ist gar keine Frage der Herkunft, sondern eine des Geschmacks.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal