nd-aktuell.de / 07.03.2017 / Politik

Mit Böllern für ein »Klima der Angst«

Prozess gegen »Gruppe Freital« begonnen / Verteidiger sehen Gericht als befangen

Hendrik Lasch, Dresden

Immerhin: Die Anklage kam zur Verlesung. Thomas Freesemann, Vorsitzender Richter am sächsischen Oberlandesgericht, musste das indes gegen den geballten Willen einer Armada von 16 Verteidigern durchsetzen. Sie stehen in einem der spektakulärsten Verfahren, die Sachsens Justiz je erlebt hat, acht Angeklagten zur Seite, denen vorgeworfen wird, ab Sommer 2015 in Freital eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben. Ihr Ziel sei es gewesen, durch Sprengstoffanschläge und andere Übergriffe ein »Klima der Angst und der Repression« in der Stadt zu erzeugen, sagte Jörn Hauschild, Vertreter des Generalbundesanwalts, der den Komplex im März 2016 an sich zog.

Es ist ein Verfahren ohne Beispiel im Freistaat, das am Mittwoch an einem symbolträchtigen Ort eröffnet wurde. Der Saal, in dem Zuschauer und Journalisten hinter Scheiben aus Panzerglas sitzen und selbst die Elektrokästen verplombt wurden, war als Speiseraum einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge gedacht, die gebaut wurde, nachdem im Sommer 2015 die Zahl der Zuwanderer nach Deutschland stark stieg. Einige von diesen hatte man damals auch im Hotel »Leonardo« in Freital untergebracht. Rassisten machten massiv Stimmung dagegen. Es gab Demonstrationen und immer öfter auch gewaltsame Übergriffe. Sprengsätze detonierten an Fensterscheiben zweier Wohnungen von Asylbewerbern; das Auto eines LINKEN-Politikers, der Flüchtlinge unterstützte, sowie ein Büro der Partei flogen in die Luft.

Die sieben Männer und eine Frau, die für die Attacken verantwortlich sein sollen, werden am ersten Prozesstag in Handschellen aus der Untersuchungshaft vorgeführt. Sie sind 19 bis 39 Jahren alt und haben einst als Gleisbauer, Abwassertechniker oder Krankenpfleger gearbeitet; zwei Männer, die als Rädelsführer gelten, waren Busfahrer. Sie gründeten zunächst eine »Bürgerwehr FLT/360«, die in Bussen der Linie 360 Ausländer einschüchtern wollte. Angestachelt von der Hetze durch Pegida und in sozialen Netzwerken, radikalisierte sich die Gruppe, von deren Mitgliedern zuvor nur einer mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war. Man traf sich nach Feierabend an Tankstellen, deckte sich mit illegalen Böllern der Marke »Supercobra 12« ein, die die 130-fache Sprengkraft eines regulären Silvesterknallers haben, und sprach geplante Anschläge in einem verschlüsselten Chatprogramm ab. Im November 2015 hatte sich die Gruppe auch mit Material eingedeckt, um Rohrbomben bauen zu können. Dem kamen die Behörden zuvor. Zunächst wurden drei Hauptverdächtigen festgesetzt, Anfang 2016 verhaftete ein Großaufgebot von SEK-Beamten die übrigen.

Dass es sich bei der Gruppe um eine terroristische Vereinigung handelt, hatten sächsische Ermittler zunächst verneint. Sie erhoben Anklage bei der Jugendschöffenkammer des Amtsgerichts. Erst der Generalbundesanwalt brachte den schwerwiegenden Vorwurf vor, der im Fall eines Urteils bis zu zehn Jahren Haft bedeuten könnte und in einem Prozess mündete, der wegen des Platzbedarfs und der Sicherheitsregularien angeblich nicht in einem regulären sächsischen Gerichtssaal stattfinden konnte. Statt dessen wurde für fünf Millionen Euro die leer stehende Flüchtlingsunterkunft teilweise umgebaut.

Hauschild begründete die schwerwiegende Anklage damit, dass die Gruppe nicht nur beabsichtigt habe, die Bevölkerung einzuschüchtern, sondern auch bezweckte, »den Staat erheblich zu schädigen«. Dass es Tote geben könnte, habe man »billigend in Kauf genommen«. Die Verteidiger halten die Vorwürfe allerdings für grotesk übertrieben. Es gehe »nicht mehr um eine gerechte Strafe, sondern um ein Exempel«, sagt Endrik Wilhelm, Anwalt der einzigen Angeklagten. Er räumte ein, dass seine Mandantin »Schuld auf sich geladen« und Straftaten begangen habe, von denen sie sich jetzt »entschieden distanziert«. Allerdings fürchte er, dass die Justiz mit der Anklage wegen Terrors »weit über das Ziel hinausschießt«.

Wilhelm und weitere Anwälte stellten Befangenheitsanträge gegen das Gericht und rügten dessen Besetzung. Der mit der Verhandlung befasste 4. Strafsenat des OLG sei gezielt für das Verfahren gebildet worden, was das grundgesetzliche Recht auf einen »gesetzlichen Richter« verletzte. Derlei Scharmützel waren indes zum Auftakt des Verfahrens vor großer Zuschauerkulisse erwartet worden. Das Interesse dürfte nicht an allen der zunächst angesetzten 61 Verhandlungstage so hoch bleiben. Zugleich dürften die Sicherheitsbeamten zu mehr Gelassenheit finden. Am ersten Prozesstag ließen diese die Zuschauer zunächst im Regen stehen, weil Sprengstoffspürhunde in einer Toilette anschlugen. Es stellte sich heraus, dass ein Gummireinigungsmittel die Tiere in die Irre geführt hatte.