nd-aktuell.de / 07.03.2017 / Politik

»Die Zivilgesellschaft wurde im Regen stehen gelassen«

Interview mit Dr. Andreas Poltermann über das Megaprojekt Belgrad Waterfront

Miriam Sachs

Belgrad Waterfront verletzt viele städtebaulichen Richtlinien, im April 2016 wurden sogar Bewohner mit Gewalt aus ihren Häusern vertrieben. Der serbische Ministerpräsident Vučić gab an zu wissen, wer dahintersteckte – warum will offenbar kaum jemand wissen, wer genau die Menschen vertrieben hat?
Es gibt kein Verständnis dafür, dass es rechtsstaatliche Prozeduren gibt, in denen ein Staatsanwalt einem Verbrechen nachgehen soll – unabhängig davon, ob das am Ende Vučić schadet oder seinem ärgsten Gegner, dass können sich viele nicht vorstellen. Alles Institutionelle ist funktional auf die jeweils herrschende Persönlichkeit ausgerichtet.

Ist Vučić noch abzunehmen dass er Serbien in die EU führen will?
Ich habe das Gefühl: ja, das will er noch, er spielt außenpolitisch immer noch den Moderaten. Aber: so populär er auch ist, er ist geschwächt aus der letzten Wahl gegangen. Und diese Schwächung hat sich, glaube ich, auch in seinem Verhältnis zu den Nationalisten in seiner eigenen Partei ausgewirkt. Die nehmen sich mehr heraus.

Vučić wechselt zuweilen die Partei. Kann man von einer 180-Grad-Wende sprechen?
Es ist eine 180 Grad Wende, was die Europa-Frage angeht. Er war vorher in der ultra-nationalen Partei von dem Seselj. Während des Kosovokrieges war Vučić Informationsminister, er war Spezialist für die Unterdrückung der Pressefreiheit.

Es ist verwunderlich, dass die EU relativ wohlwollend einem EU-Beitritt Serbiens gegenüber steht. Der EU-Fortschritts-Report erwähnt Belgrad Waterfront nicht.
Das ist eine große Enttäuschung. Wir alle haben den EU-Report, als er rauskam, verschlungen. Und da stand nichts! Kein Wort von den intransparenten Verträgen, den ungeklärten Risiken, dem Korruptionsverdacht. Im Oktober einen Bericht herauszubringen, der schweigt zu den Menschenrechtsverletzungen im April, nichts sagt über ein Projekt, das 10.000 auf die Straße treibt, heißt: die EU hat jede Art von Kooperation mit dem aktiv demokratischen, rechtsstaatlich orientierten Teil der serbischen Zivilgesellschaft aufgegeben. Die wurden schlichtweg im Regen stehen gelassen.

Was genau ist da versäumt worden?
Die Kommission hat nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich solidarisch zu zeigen mit den Teilen der serbischen Zivilgesellschaft, die für Menschenrechte, für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sind, die in die EU wollen genau aus dem Grund: weil sie sich dadurch eine Demokratisierung versprechen, weil sie die Korruption satt haben, die uneingeschränkte Herrschaft der Regierungspartei, die Unterdrückung der Meinungs- und Medienfreiheit, das Ausplündern des Landes. Dieser Teil, der den Grundwerten der EU, um die es angeblich beim Beitrittsprozess geht, verpflichtet ist, wird im Regen stehen gelassen. Und warum? Weil man von Seiten der EU-Kommission die serbische Regierung nicht vor den Kopf stoßen will. Weil man sie für nützlich hält in der geostrategischen Frage. Die serbische Regierung erpresst die EU damit, dass sie sagt: wir können uns auch mehr in Richtung Russland orientieren.