nd-aktuell.de / 09.03.2017 / Politik / Seite 14

Kulturkaufhaus der 68er schließt

Frankfurt am Main: Im Stammladen von Zweitausendeins gehen die Lichter aus

Thomas Maier, Frankfurt/Main

Daddy Schneider kann es immer noch nicht fassen: »Sogar Institutionen, die einen durch das ganze Sammlerleben mit Büchern und Tonträgern begleitet haben, sind plötzlich nicht mehr da!«, empört sich der Stammkunde im »Kondolenzbuch«.

Der kleine schwarze Band liegt auf dem Verkaufstresen im Zweitausendeins-Laden am Frankfurter Kornmarkt aus. In den Kommentaren ist außer Zorn über die »schlimmen Zeiten« vor allem viel Wehmut zu spüren. Denn spätestens Ende März schließt die Frankfurter Einrichtung für immer.

Mit dem Laden, der zuletzt nur noch ums Überleben kämpfte, wird im Einzelhandel auch ein Stück deutsche Kulturgeschichte zu Grabe getragen. Auch wenn Zweitausendeins - inzwischen mit Sitz in Leipzig - als Online-Kaufhaus bundesweit weiter existiert.

Wie kaum eine andere Institution hat Zweitausendeins, 1969 in einer Frankfurter Studentenwohnung aus der Taufe gehoben, den Zeitgeist der 68er-Generation kultiviert. Bei der Gründung ging es noch um die Verbreitung rebellischer Literatur und Musik wie von Bob Dylan, den Rolling Stones oder Leonhard Cohen, die alle zu Ikonen wurden. Später fand auch viel Jazz und Klassik - stets zu zivilen Preisen - Eingang ins Sortiment.

Mit Büchern provozierten einst Frankfurter Karikaturisten wie Robert Gernhardt, Chlodwig Poth, Hans Traxler oder F.K. Waechter. Zum Riesenerfolg wurde im Jahr 1980 der im Verlag Zweitausendeins erschienene Umweltbericht »Global 2000«, der vom damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter in Auftrag gegeben worden war. Darauf ist Robert Egelhofer, Geschäftsführer des Zweitausendeins-Ladens in Frankfurt am Main, immer noch stolz. Der 58-Jährige stieß schon 1977 als junger Ferienjobber dazu. In den 1990er Jahren erreichte Zweitausendeins mit Versand und Läden sogar einen Umsatz in dreistelliger Millionenhöhe. Dann ging es bergab - vor allem wegen der digitalen Revolution im Musikgeschäft. Die Frankfurter Gesellschafter verkauften 2006 Versand und Verlag an die Brüder Rainer und Michael Kölmel (»Kinowelt«) in Leipzig. Zunächst wurden auch neue Läden eröffnet. 2012 trennte sich Zweitausendeins wieder vom teuren Filialnetz und setzte auf das Franchise-Verfahren. In Frankfurt am Main übernahm Egelhofer 2013 auf eigene Faust den Laden. Er nahm zusätzlich Bestseller ins Programm und kaufte Restposten von Verlagen auf - von anspruchsvollen Suhrkamp-Romanen bis zu Kochbüchern.

Dennoch ging der Umsatz zurück, jüngst nochmals deutlich im Weihnachtsgeschäft, wie Egelhofer sagt. Außerdem könne er das legendäre »Merkheft« aus Kostengründen den Kunden nicht mehr anbieten. Zweitausendeins in Leipzig kooperiert beim Vertrieb des eng bedruckten Katalog-Heftchens im Umfang von mehreren hundert Seiten mit einem neuen Partner.

»Das hat uns die Geschäftsgrundlage entzogen«, sagt Egelhofer nüchtern. Der studierte Diplom-Kaufmann sieht dem Ende seines Ladens aber ohne Pathos entgegen. Noch liegen am Eingang Bildbände zum Frankfurt der 1950er Jahre aus - zusammen mit Paul Austers dickem neuen Roman. Auch der »Titanic«-Sammelband und ein Buch zur »ultimativen Gitarrensammlung« sind noch zu haben. Ansonsten sind die Regale bereits ziemlich gelichtet.

Schon Mitte März könnte das Licht in der Urzelle von Zweitausendeins ausgehen, sagt der Geschäftsführer. Sang- und klanglos übrigens, es wird kein Abschiedsfest geben. Für alle Zweitausendeins-Fans, die den Laden am Kornmarkt der Bankenstadt vermissen werden, gibt es aber einen Trost: Der in Leipzig ansässige Online-Versand und der Verlag existieren weiter.

Das Aus für den Frankfurter Laden sei zwar schade, sagt dort Geschäftsführer Andreas Kalski. Für sein eigenes Unternehmen sieht er aber weiter eine Zukunft - vor allem im Internet und in den sozialen Netzwerken. »Wir wollen auch jüngere Kunden ansprechen.« Außerdem kooperiere man - als Shop-in-Shop - mit bundesweit mehr als 30 Buchläden. dpa/nd