nd-aktuell.de / 08.03.2017 / Klima und Wandel

Wie der Emissionshandel das Klima kolonisiert

Alberto Acosta über fragwürdigste Instrumente zur Vermarktlichung der Natur

Alberto Acosta

Rosa Luxemburg hat darauf hingewiesen, für sein Überleben muss der Kapitalismus neue Gebiete erobern, immer und immer wieder. Kommt diese Entwicklung zum Stillstand, bricht auch der Kapitalismus zusammen. Doch hat der Kapitalismus, wieder einmal, sein erstaunliches und perverses Talent unter Beweis gestellt, sich neue Räume der Ausbeutung zu suchen. Und auch zu finden. Heute kolonisiert der Kapitalismus das Klima, neben der Erschließung des Erbguts eine der zeitgenössischen Kolonisierungsfronten des Kapitalismus.

In dem Moment, in dem die physikalisch kolonisierbaren Räume zu Ende gegangen sind, haben sich die Natur und ihre Funktionen in ein Objekt äußerst exotischer Vermehrungsmechanismen des Kapitals verwandelt, und damit neue Formen der Akkumulation hervorgebracht. Längst hat sich zwischen den Lebensformen der Natur und der Formen der Akkumulation des Kapitals eine perverse Verbindung gedrängt: der Markt.

Eines der fragwürdigsten Instrumente zur Vermarktlichung der Natur war die Schaffung neuer Märkte, die mit dem Klima zu tun haben. Die Erdatmosphäre ist heute längst zu einer neuen Ware geworden. Designt, reguliert und verwaltet wird diese Ware von denselben Akteuren, die für die Klimakrise verantwortlich sind. Und die von den Regierungen über ein kompliziertes Finanz- und Politiksystem weiter Subventionen und Unterstützung erhalten.

Die Privatisierung des Klimas wurde in der neoliberalen Epoche durch Weltbank, die Welthandelsorganisation und Freihandelsabkommen gestartet. Die Geschichte der Kohlenstoffmärkte begann mit dem Cap-and-Trade-Mechanismus, bei dem Regierungen für dreckige Industrien eine Obergrenze an CO2-Verschmutzung festlegen. Bei den frei handelbaren Verschmutzungsrechten spielt es keine Rolle, wo das schädliche Klimagas ausgestoßen wird.

Doch war dieses Instrument bisher nicht fähig die Verschmutzung zu verringern, stattdessen wurde es sogar zum Anreiz noch mehr CO2 auszustoßen. Denn unter großem Druck der Einflussnahme durch Wirtschaftslobbys haben die Regierungen die Verschmutzungsrechte zum großen Teil kostenfrei verteilt. Auch haben sie zu viele CO2-Ausstoßrechte vergeben, womit die großen Verschmutzer wie Kraftwerke, Erdöl-Raffinerien, Stahl- und Papierfabriken, Zementwerke und andere energieintensive Unternehmen Extragewinne eingefahren haben, weil sie mit ihren überschüssigen Emissionszertifikaten Handel treiben konnten. Parallel wurde ein komplexes System eingeführt, um den Marktwert von CO2 zu bestimmen. Entstanden sind die Kohlenstoffmärkte zudem auf Grundlage einer Vielzahl falscher Annahmen über den Ausstoß von CO2 durch die Industrien und die tatsächliche Fähigkeit der Ökosysteme (Wald, Ozeane, Moore) die Klimagase aufnehmen zu können. Schließlich hat dieses neue Marktsystem dazu geführt, dass in den »unterentwickelten« Ländern Projekte ins Leben gerufen wurden, um dort CO2-Zertifikate zu schaffen, die in den Industrieländern für Reduktionsziele eingesetzt werden können.

Durch den zunehmenden Einfluss des transnationalen Finanzkapitals auf die Entstehung und Gestalt neuer Märkte haben diese ihr selbstgestecktes Ziel, den Klimaschutz, nicht erfüllt. Und im Gegenteil den Unternehmen, die eigentlich mehr in Klimaschutz investieren sollen, Extraprofite beschert. Das ist der große Widerspruch: Während das Geschäft mit dem Emissionshandel floriert wird mehr Klimaschutz verfehlt.

In diesem Kontext sind weitere falsche Lösungen zur Klimakrise entstanden, etwa die Einführung des Programms für »Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung sowie die Rolle des Waldschutzes, der nachhaltigen Waldbewirtschaftung und des Ausbaus des Kohlenstoffspeichers Wald in Entwicklungsländern«, kurz REDD. REDD wurde 2008 ins Leben gerufen und ist eine gemeinsame Initiative von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Der Schutz von Wäldern als CO2-Senken beruht ebenfalls auf einer Vermarktlichung der Natur, wobei der globale Süden für den Norden »grüne Gutschriften« generieren soll, die komplett vom reichen Norden kontrolliert werden.

REDD-Projekte haben teilweise sehr negative Folgen für indigene Gemeinden, ihre Gebiete, ihre Wirtschaftsweise und Kultur, weil die Verantwortung für die Natur zu Geld gemacht wird. Luft, Wälder, Bäume und der Boden werden vermarktet und privatisiert. Die REDD-Projekte verhindern weder den massiven Abbau natürlicher Rohstoffe für den Weltmarkt, was die Unterentwicklung vor Ort befördert, noch die globale Umweltkrise. Im Gegenteil sind REDD-Projekte für indigene Gemeinden oft ein Anreiz für extraktivistische Aktivitäten, die sonst in ihren Gebieten auf Ablehnung gestoßen wären. REDD ist nichts Weiteres als einmal mehr vom selben Geist der funkelnden Spiegelchen und Glasperlen, mit denen die Europäer die Eroberung Amerikas begonnen haben.

Just aus diesen Gründen wurden in Ecuador in der neuen Verfassung von Montecristo Elemente eingeführt, die mit alten und neuen Akkumulationsmechanismen brechen sollten. Einer dieser Systembrüche ist die Anerkennung der Natur als eigenständiges Rechtssubjekt. Die Befreiung der Natur von seiner Eigenschaft als rechtsloses Subjekt und einfaches Objekt des Eigentums erlaubt es uns unter anderem, die Tendenz der Vermarktlichung der Natur in Frage zu stellen oder diese sogar umzukehren. Aber auch den »progressiven Regierungen« in Südamerika ist es bisher nicht gelungen sich von diesen neoliberalen Extremen, welche Mutter Erde zu einer Ware degradieren, zu befreien.

Übersetzung: Benjamin Beutler