Menschlicher Puls macht Kunst spürbar

Die Jahre des Aufschwungs einer Kunstform: Plakate von Günther Kieser im Bröhan-Museum

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.

Grafikdesign ist im Ausstellungsprogramm von Museen und Galerien heutzutage nicht gerade üppig vertreten. Gemalt und installiert, fotografiert und videogefilmt wird laufende Meter. Das solide Gedruckte, vorher jedoch originell Gestaltete wird wohl schon wieder als lästiges Wegwerfprodukt angesehen. Das ist verwunderlich, weil vieles andere auf erschreckende Weise so schnell wieder aus der Mode kommt, wie es auf dem Kunstmarkt erschien. Und alles, was mit dem Label Produktwerbung zusammenhängt, nur noch ausnahmsweise einen gewissen Kunstwert für sich zu beanspruchen vermag.

31 Plakate, alle im Großformat gut ausgeleuchtet, hängen da. Bildmotive springen uns auf den ersten Blick an. Nach Niklaus Troxler im vorigen Jahr gibt es nun also »Blackbox Nr. 2« im Bröhan-Museum. Günther Kieser, dem Mann aus dem Taunus, ist diesmal die kleine Schau gewidmet. Bei einem Künstler des Jahrganges 1930 ist das als ein Beitrag zur Geschichte des Kulturplakates der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu werten. Die Jahre der Entstehung sind 1959 bis 1999. Jahre des Aufschwungs einer Plakatkunst intellektuellen Anspruchs weltweit. Länder wie Polen, Japan und die Schweiz setzten Maßstäbe, die in beiden Deutschlands begierig aufgegriffen wurden.

Nach Abschluss der Startphase in der Ateliergemeinschaft mit Hans Michel entwickelte Kieser seinen eigenen ausgeprägten Personalstil. Geradezu plastisch treten Bildmotive aus der Fläche heraus. Die geballte Wucht überraschender Bildideen füllt das Format des Plakates bis auf den letzten Zentimeter. Die Schrift ist extrem reduziert auf wenige Zeilen gegeben, meist in der sachlich anmutenden Helvetica. Noch ist nichts mit Hilfe digitaler Technik auf einen perfekten Hochglanz gebracht. Nein, der Meister bevorzugte eher eine auf ganz persönliche Weise zustande gebrachte handwerkliche Fertigung. Das ging so weit, dass der Schöpfer der am Ende fotografierten zweidimensionalen Vorlagen zum Beruf des Grafikdesigners stolz die Bezeichnung Bildhauer hinzufügte.

Ja, und genau das ist daran erklärungsbedürftig. Das Volumen eines sehenden menschlichen Kopfes einerseits und das eines tönenden Musikinstruments andererseits hat es ihm angetan. Immer muss das total bildfüllend werden. Seine intensive Beziehung zur Jazzmusik hat vieles von dem bewirkt, was typisch für ihn geworden ist. Die originäre Ursprünglichkeit des Jazz überträgt sich auf ihn. Details der Form der Gitarre oder des Saxofons werden zum Element der Gestaltung genauso wie die Windung einer Ohrmuschel oder die Suggestion eines Blickes. Er wurde immer variabler, als er vergrößerte Porträtfotos mit Elementen gefalteter, gerissener oder geschnittener Materialien kombinierte. Fotomontage und Assemblage machte er nutzbar.

Er sagt es selbst so: »Mein Auftrag war: Als ›Bildkünstler‹ male ich dem ›Tonkünstler‹ ein Bild. Seinem Konzert voraus, als einladende attraktive Offerte, ihn demnächst zu sehen und zu hören.« Es ist also eine Werbebotschaft in allem versteckt. Sozusagen jeweils eine andere Abstraktion zum ganz konkreten Anlass. Gelobt sei diese dialektische Beziehung zwischen menschlicher Nähe und künstlerischer Verfremdung! Dagegen ist der Begriff »Abstrakte Kunst« eine leere Schimäre. Die damit einher gehende zunehmende Hochtechnisierung des Schaffensprozesses macht kaputt, was kreativ war. Leicht vergessen, schwer bereut. Wenn es verpasst ist, die Handarbeit in ihre Rechte zurückzuholen - was dann? Eiskalt weht der Wind des krampfhaft Konstruierten, wenn die warme Blutzirkulation des Schöpferischen erst unterbrochen ist. Erst menschlicher Puls macht Kunst spürbar.

Das Glück wollte es, dass die Agentur Lippmann & Rau als regelmäßiger Auftraggeber in Erscheinung trat. Die jährlich veranstalteten »Berliner Jazz Tage« waren da genauso Abonnenten wie bedeutende Gastspiele etwa von Jimi Hendrix, Ian Anderson oder Dave Brubeck. Schade, dass im Prinzip die meisten Aktivitäten auf das Segment Jazz begrenzt waren. Wenn Fritz Rau 1982 mit »Warum denn nicht Frieden?« ein politisches Plakat in Auftrag gab, war das genauso eine Ausnahme, wie 1989 das zu »200 Jahre Französische Revolution«. Und immerhin erhielt man das, was ein unvergesslicher Wurf genannt werden kann.

Wie stark surreale und abstrakte Bildelemente inhaltliche Bildaussagen unterstützen können, gerade das ist bei längerer Betrachtung des Ausgestellten das Spannende. Landesmuseum Mainz, Oper Frankfurt - wenn Museen und Theater weitere Anreger zu Bildfindungen sein können, ist der Radius schon ausgeschritten. Die Banalität des Alltäglichen hat sowieso im neuen Jahrtausend die Öffentlichkeit unserer Gesellschaften fest im Griff. Der allmächtige Kommerz drückt die Sparte Grafikdesign in die uniformierte Anonymität des schnell und vorübergehend Abrufbaren. Dafür müssen kluge Geister erst noch einen neuen Kunstbegriff erfinden. Wer weiß, aus welcher Galaxis sie diesen weit herholen. Wir erinnern uns jedenfalls gern an das, was vorgestern noch selbstverständlich als wertvoll galt, und freuen uns, ihm gelegentlich wieder zu begegnen.

»Kieser, Plakate«, bis zum 23. Juli im Bröhan-Museum, Schlossstraße 1a, Charlottenburg

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