nd-aktuell.de / 11.03.2017 / Wissen / Seite 24

Erziehungsmoden

Bildungsrauschen

Lena Tietgen

Der Begriff »autoritativer Erziehungsstil« ist Max Horkheimers früher Familienkritik entlehnt. Der Sozialphilosoph unterschied zwischen autoritären Handlungen und dem Einfordern solcher Handlungen. Letzteres sei autoritativ. Seine Kritik besagte, dass die Familie bei Kindern »eine autoritative Gesinnung erzeuge« und damit zum »Motor autoritärer Strukturen bürgerlicher Gesellschaft« werde. Später verwarf Horkheimer den Gedanken. Denn der »allgemeine Kulturverfall, Rationalismus und Individualismus« habe dazu geführt, dass die Familie »die ihr eigene Form der Autorität über ihre Mitglieder nicht mehr ausführe« und nun einen »alles durchdringenden Geist der Anpassung und autoritären Aggressivität« fördere. (theoblog.de)

Mit ähnlicher Argumentation hat sich heute der autoritative Erziehungsstil als ein praktikabler und psychologisch gut vermittelbarer Ansatz durchgesetzt. Er dient als ideales Modell, das notwendige restriktive Erziehungshandlungen mit Respekt vor dem Kind kombiniert. Nachteile fallen da kaum ins Gewicht. Den wenigen Hinweisen ist zu entnehmen, dass im Alltag Eltern (oder eben auch Lehrer bzw. Erzieherinnen) gar nicht den Raum für die geforderte Geduld haben. Oder dass Kinder durch die ihnen abverlangte Vernunft überfordert werden, dass sie zu wenig lernen, sie am Ende dennoch »ihren Willen durchsetzen« und so »womöglich die einfache Kindlichkeit nicht in der Ausprägung erleben, wie es gewöhnliche Kinder tun«. (kindererziehung-ratgeber.de).

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der autorative Erziehungsstil dazu neigt, die Kluft zwischen dem Erwachsenen und dem Kind zu relativieren, da er dazu neigt, kindliche Vernunft mit der der Erwachsenen gleichzusetzen. Das Kind arbeitet sich am Erwachsenen ab, entwickelt dabei sein Bild von der Welt und von sich selbst und lernt, sich ins Verhältnis zu setzen, lautet ein zentraler Einwand gegen die autoritative Erziehung. Gewissermaßen braucht das Kind im Heranwachsen ein anarchisches Element. Stärker als antiautoritäre Konzepte beispielsweise in der 68er-Bewegung annahmen, brauchen Kinder die Sicherheit, dass ihnen Eltern bzw. Erzieher auch klar als solche gegenübertreten und als Vermittlungsinstanz von Regeln fungieren. Dies wird in der Fachliteratur vor allem mit Hinweis auf die Bindungstheorie betont. (kindergartenpaedagogik.de)

Diese Ungleichheit im Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern führt aber zu Definitionen bei Erziehungsstilen, die Moden unterworfen sind. Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Brezinka spricht von Erziehung als ein »Ursache-Wirkungs-Geflecht«, in dem »Verhaltenstechnologien ein gewünschtes Ergebnis« herbeiführen sollen. Erziehungsstile und Didaktiken sind als Methoden der Umsetzung Ausdruck dieser Technologien. Eine systematische Übersicht dazu hat der gleichnamige Didaktikprofessor auf haraldriegel.de veröffentlicht. Lena Tietgen