nd-aktuell.de / 16.03.2017 / Politik

Schulz schließt EU-Beitritt der Türkei derzeit aus

SPD-Kanzlerkandidat sieht finanzielle Sanktionen gegen Ankara aber skeptisch / Hannover sagt Auftritt von AKP-Vize ab / Erdogan zieht erneut Nazi-Vergleich

Berlin. Für SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist ein EU-Beitritt der Türkei derzeit unvorstellbar. »Unter den gegenwärtigen Umständen ist ein EU-Beitritt völlig ausgeschlossen«, sagte Schulz der »Rheinischen Post« (Freitagausgabe). Zu den verbalen Angriffen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen Deutschland und andere EU-Staaten sagte Schulz: »Jeder Regierungschef in Europa sollte ihm klipp und klar sagen, dass er derzeit sämtliche Grenzen überschreitet.«

Finanzielle Sanktionen schloss Schulz nicht vollständig aus, äußerte aber Zweifel. »Es gibt Zahlungen im Rahmen des Flüchtlingsabkommens. Damit unterstützen wir aber nicht Herrn Erdogan, sondern die in der Türkei lebenden Flüchtlinge«, sagte Schulz. »Wenn man da kürzen würde, würde man also die Falschen treffen.« So sei Erdogan nicht beizukommen, sagte Schulz.

Hannover zieht Vermietung eines städtischen Saals für AKP-Veranstlatung zurück

Das deutsch-türkische Verhältnis ist derzeit wegen des Streits um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker und den Nazi-Vorwürfen Erdogans gegen die Bundesregierung stark angespannt. Auch die Stadt Hannover hat den Auftritt eines Vizechefs der türkischen Regierungspartei AKP an diesem Freitag abgesagt. Die Zusage zur Vermietung eines Saals in einem städtischen Freizeitheim wurde nach dpa-Informationen von der Stadt zurückgezogen. Mehmet Mehdi Eker, einer der 13 AKP-Vizechefs, hatte am Freitagabend auf einer Informationsveranstaltung der AKP-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) für die umstrittene türkische Verfassungsreform werben wollen.

Dass der AKP-Politiker auf der UETD-Veranstaltung in Hannover auftreten wollte, war zunächst verschwiegen worden und der Stadt erst kurzfristig bekanntgeworden. Daraufhin hatten die Stadt und das Land sich über das Vorgehen beraten. Zur Absage führte der Umstand, dass über den wahren Charakter der Veranstaltung getäuscht worden war. Außerdem wollte Hannover verhindern, dass der innertürkische Streit in die Stadt hineingetragen wird.

Erdogan stachelt türkische Bevölkerung weiter auf

Derweil hat Erdogan erneut mit einem Nazi-Vergleich nachgelegt. »Das ist der neue Nationalsozialismus«, sagte Erdogan am Donnerstag mit Blick auf die Niederlande vor Anhängern im westtürkischen Sakarya.

Mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, wonach Kopftücher am Arbeitsplatz unter bestimmten Umständen verboten werden dürfen, sagte Erdogan: »Meine werten Brüder, sie haben einen Kampf Kreuz gegen Halbmond angefangen.« Ähnlich äußerte sich Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Er warnte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag von »Religionskriegen« in Europa.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident François Hollande haben Nazi-Vergleiche und »andere beleidigende Aussagen« vonseiten der Türkei gegen Europa am Donnerstag in einer gemeinsamen Reaktion zurückgewiesen.

Erdogan bekräftigte, die Niederlande würden für den Eklat um den Wahlkampfauftritt türkischer Minister »bezahlen«. An Ministerpräsident Mark Rutte gerichtet sagte er: »Hey Rutte, du magst die Wahl als erste Partei gewonnen haben, aber Du musst wissen, dass du einen Freund wie die Türkei verloren hast.«

Rutte hatte den Massaker-Vorwurf am Dienstag als »widerliche Geschichtsverfälschung« zurückgewiesen. Tatsächlich hatten das Massaker in Srebrenica im Juli 1995 bosnisch-serbische Truppen verübt. Niederländische Blauhelm-Soldaten der Vereinten Nationen hatten den Angreifern die Stadt zuvor kampflos überlassen.

Ankara droht erneut mit Aufkündigung des Anti-Asyl-Abkommens mit der EU

Erdogan sprach in seiner Rede von Donnerstag auch den Anti-Flüchtlingsdeal zwischen der Türkei und der EU an. Zur darin vereinbarten Rücknahme von Flüchtlingen von den griechischen Ägäis-Inseln sagte Erdogan, es werde »nichts dergleichen geben«, nachdem die EU nicht die versprochene Visa-Freiheit gewährt habe, und die türkischen Minister nicht in den Niederlanden sprechen dürften.

Am Mittwochabend hatte bereits Außenminister Mevlüt Cavusoglu mit der Aufkündigung des Abkommens gedroht. Zudem erklärte er, die Rücknahme von Flüchtlingen sei ausgesetzt. Allerdings wurden seit Schließung der Vereinbarung vor einem Jahr ohnehin kaum Flüchtlinge zurückgeschickt, da Griechenland zunächst ihre Asylanträge prüfen muss.

»Wir erwarten, dass beide Seiten ihre Verpflichtungen einhalten«, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Donnerstag in Brüssel zu den Drohungen aus Ankara. Bei dem Vertrag handele es sich um »ein Engagement gegenseitigen Vertrauens, das Resultate zum Ziel hat«. Das Abkommen sei im Interesse beider Seiten und auch in dem der syrischen Flüchtlinge.

Das im März 2016 zwischen EU und Türkei vereinbarte Flüchtlingsabkommen sieht vor, dass Ankara alle auf den griechischen Inseln eintreffenden Flüchtlinge zurücknimmt. Für jeden so abgeschobenen Syrer soll die EU einen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufnehmen. Außerdem sagte die EU Milliarden-Zahlungen für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu. Ankara wurde auch in Aussicht gestellt, den Türken rascher Visa-Freiheit zu gewähren, doch gibt es in dieser Frage seit Monaten keine Fortschritte.

Auch die Beitrittsverhandlungen zur EU sollten beschleunigt werden. Die Beitrittsgespräche dehnte die EU zwar auf zwei neue Bereiche aus. Im Dezember stoppten die EU-Staaten aber wegen des massiven Vorgehens von Präsident Erdogan gegen Regierungsgegner nach dem Putschversuch vom Juli jede weitere Ausweitung.

Die Türken stimmen am 16. April über eine Verfassungsänderung ab, die dem Staatspräsidenten weitreichende Vollmachten verschaffen soll. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft. Das Referendum gilt als Abstimmung über Erdogan selbst, weil die geplante Verfassungsänderung ihm ermöglichen würde, bis 2029 im Amt zu bleiben. Agenturen/nd