nd-aktuell.de / 18.03.2017 / Politik / Seite 7

Finanzminister, hört die Signale

Erlassjahr.de präsentiert zum G20-Treffen einen neuen Schuldenreport. Zahl überschuldeter Länder steigt

Kerstin Ewald

Die Verschuldung von Staaten könnte wieder zu einem brisanten Problem des kapitalistischen Weltsystems werden. Zumindest für die Kampagne erlassjahr.de deuten alle Signale darauf hin. Pünktlich zum G20-Treffen in Baden-Baden hat die Kampagne am Freitag einen 55-seitigen Schuldenreport herausgegeben. Von der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer erwartet sich erlassjahr.de Maßnahmen, um die Gefahr einer weltweiten Schuldenkrise einzudämmen. Doch die reichen Länder boykottierten nach Ansicht der Schuldenexperten und -expertinnen bislang einen Lösungsprozess komplett. Auch Deutschland, das derzeit den Vorsitz der G20 innehat und wichtiger Gläubiger von Entwicklungs- und Schwellenländern ist, trage bisher kaum zur Lösung bei.

Die Anzahl der überschuldeten Staaten, so besagt es der Schuldenreport, hat sich binnen eines Jahres von 108 auf nun 116 erhöht. In 69 dieser Länder hat sich die Situation im Vergleich zum Vorjahr weiter verschlechtert. Stark überschuldet seien Länder wie Kongo-Brazzaville, Barbados und Mosambik, aber auch wirtschaftliche Schwergewichte wie Brasilien oder Venezuela.

Betroffen seien auch Länder wie Ghana, die zum Aufbau ihrer Infrastruktur für den Rohstoffexport Kredite aufgenommen haben und nun durch die gesunkenen Rohstoffpreise Gefahr laufen, diese Kredite nicht tilgen zu können. Neben den niedrigen Rohstoffpreisen habe der Niedrigzins zur alarmierenden Situation beigetragen. Seinetwegen hätten Entwicklungs- und Schwellenländer zu viele Darlehen aufgenommen.

Joachim Kaiser ist deutscher Koordinator der internationalen Erlassjahrkampagne. Von seinem Berliner Büro aus nervt er nach eigenen Aussagen regelmäßig die Ministerien mit dem Überschuldungsthema. Für ihn sind Staatsschulden nicht automatisch ein Problem und selbst hohe Schulden müssen nicht immer alarmieren. »Problematisch wird es, wenn die gesamten Schulden eines Staates oder einer ganzen Volkswirtschaft in keinem vernünftigen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit des Schuldners mehr stehen«, erklärt Kaiser. Kritisch werde es auch dann, wenn die aufgenommenen Kredite nicht investiert würden, sondern in den Konsum flössen oder gar von Regierungen oder Unternehmensverantwortlichen gestohlen würden.

Wann sind aber Schulden für ein Land tragbar und wann nicht? Der Schuldenreport ermittelt die Brisanz der Verschuldung eines Landes anhand von fünf Indikatoren: Das Verhältnis der Schulden zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt und die Auslandverschuldung in Relation zu den Exporteinnahmen sind zwei von ihnen. Datengrundlage für die aktuelle Studie waren Zahlen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds.

Der Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta, Unterstützer der Erlassjahrkampagne, sieht Analogien zur Schuldenkrise der 70er und 80er Jahre. Damals waren die sogenannten Petrodollars auf den internationalen Kapitalmarkt gepumpt worden, was die Kreditaufnahme für ärmere Länder enorm vereinfachte. Ein Preiseinbruch bei Rohstoffen, gefolgt von einem plötzliche Zinsanstieg, führte zur Überschuldung vieler Entwicklungsländer. Parallelen zur heutigen Situation seien unübersehbar. Neu ist heute, dass auch europäische Länder von Zahlungsunfähigkeit bedroht sind.

Alberto Acosta ruft nach einem »fairen und demokratischen Umschuldungsmechanismus«. So fordert die Erlassjahrkampagne, als Ausweg für kritisch überschuldete Länder ein Insolvenzverfahren in internationales Recht einzuführen, das Schuldner und Gläubiger gleichberechtigt an einen Tisch bringt. Nur mit einem fairen Schuldenmanagement seien betroffenen Länder in der Lage, »ihre Armut zu überwinden, Menschenrechte zu verwirklichen und die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen«, mahnt Klaus Schilder von der katholischen Hilfsorganisation Misereor.

Am Freitag kurz vor Beginn des G20-Finanzministertreffens versammelten sich in der Baden-Badener Innenstadt Aktivisten aus 20 Schuldnerländern, farbenfroh in ihren jeweiligen Länderfarben gekleidet, mit Schlingen um den Hals. An die Finanzminister waren im Vorfeld Scheren versandt worden mit einer Einladung, an der Inszenierung eines symbolischen Schuldenschnitts teilzunehmen. Doch keiner der angereisten Minister kam, um die Schlingen durchzuschneiden.