Keine Straße für Kolonialkrieger

30 Aktivisten forderten am Samstag die Umbenennung der Wissmannstraße in Neukölln

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 3 Min.

Zumindest an Namensvorschlägen mangelt es nicht. Im vergangenen März überklebte Susanna Kahlefeld, Grünen-Mitglied im Abgeordnetenhaus, das Schild der Neuköllner Wissmannstraße mit dem Namen Charlotte Wolff, eine Neuköllner Ärztin. Und am kommenden Dienstag will sie anlässlich des Internationalen Tags gegen Rassismus erneut zur symbolischen Umbenennung ansetzen, dieses Mal soll Wissmann der Schriftstellerin und Frauenrechtsaktivistin Aoua Kéita weichen.

Am Samstag trafen sich Aktivisten verschiedener Initiativen, darunter »Amnesty gegen Rassismus« und »Berlin Postkolonial«, um das Anliegen zu untermauern. Sie hatten Straßenschilder im Gepäck - bedruckt zum Beispiel mit dem Namen von Julius Nyerere, dem ersten Präsidenten Tansanias. In der Wissmannstraße protestierten sie so gegen das Festhalten an deren Namensgeber.

Hermann von Wissmann hatte bei der Eroberung von Gebieten an der ostafrikanischen Küste antikoloniale Widerstände gewaltsam niedergeschlagen. Er gilt Kritikern als Wegbereiter des Maji-Maji-Krieges von 1905 bis 1907, bei dem über 100 000 Menschen starben. In mehr als 20 deutschen Städten wurden Straßen nach dem ehemals gefeierten Kolonialherren benannt. Einige noch zu seinen Lebzeiten, weitere kurz nach seinem Tod, viele erst in den 1920er Jahren und zur Zeit des Nationalsozialismus.

An der Ecke zur Wissmannstraße wollen die rund 30 Aktivisten am Samstagnachmittag einmal mehr auf die Lücken in der Aufarbeitung des Unrechts hinweisen, das durch die Kolonialmächte begangen wurde: mit Darbietungen schwarzer Künstler und Informationsmaterialien für die Anwohner. In der Umbenennung von Straßen sehen sie auch die Möglichkeit, eine größere Debatte über das deutsche Koloniaerbe anzustoßen.

Christian Kopp von »Berlin Postkolonial« sagt: »Die Leute fragen uns oft, warum wir uns mit solchen Kleinigkeiten wie Straßennamen beschäftigen. Aber wir haben festgestellt, dass man bei den kleinen Dingen anfangen muss, um überhaupt eine Diskussion in Gang zu setzen.«

Kleine Projekte, für die die Initiatoren dennoch einen langen Atem brauchen. Denn schon 2005 empfahl ein Gutachten des Kulturamtes Neukölln eine Umbenennung, 2006 setzte sich die in der Wissmannstraße liegende Werkstatt der Kulturen für eine Namensänderung ein. Schüler wiesen Lokalpolitiker 2010 auf den unwürdigen Namenspatron hin.

Kopp sagt: »Wenn man die Umbenennung von Straßen fordert, hat man schnell eine Öffentlichkeit - aber meist eine, die dagegen ist.« Manchmal würde es die Anwohner auch einfach nicht interessieren, nach wem ihre Straße benannt wurde. Andere Städte wie Erfurt, Leipzig, Bochum oder Stuttgart haben dagegen bereits gehandelt und sich vom Andenken an den Kolonialherren Wissmann verabschiedet.

Im Bezirk Neukölln scheint man zumindest offen für eine Diskussion. Die SPD brachte in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einen Antrag ein, in dem ein Dialog mit den Anwohnern zwecks kritischer Auseinandersetzung mit dem Straßennamen eingefordert wird. Seitdem gab es mehrfach Veranstaltungen im Kiez zu diesem Thema, jedoch ohne konkretes Ergebnis.

Der Stadtbezirk Mitte ist da schon weiter. Nach jahrelangen, konfliktreichen Debatten sollen die Kolonialpolitiker Adolf Lüderitz und Gustav Nachtigal im Afrikanischen Viertel in Wedding verschwinden (»nd« berichtete). In einem Aufruf wurden die Bürger ermutigt, alternative Namenvorschläge für die Straßen einzureichen, vorzugsweise von Frauen aus der (post-)kolonialen Befreiungs- und Emanzipationsbewegung. Laut Sabine Weißler, der grünen Bezirksstadträtin für Kultur und Umwelt, habe es eine lebhafte Beteiligung und fast 200 Zuschriften aus der Bevölkerung gegeben. Eine Jury unter Beteiligung der schwarzen Community soll nun bis Ende April eine Entscheidung treffen.

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