nd-aktuell.de / 23.03.2017 / Kultur / Seite 26

Dein Leben - ein anderes

Der Musiker Christian Kuno Kunert, einst Keyboarder bei Renft, legt seinen Debütroman vor

Stephan Fischer

»Er erinnerte mich an einen, den ich gar nicht kenne, der mir gleichwohl ein guter Freund ist, seit ich denken kann. Das kommt von seinen Geschich᠆ten ...« Christian Kuno Kunert stellt seinem Roman diese Bemerkung voran. Die den Leser gleichsam in die richtige Spur setzt und auf die falsche Fährte lockt. Wann beginnt die Geschichte eines Lebens? Wie viel davon gehört einem selbst? Und wer ist jener eine - der, der es selbst glaubt zu sein, oder jener, von dem die anderen glauben zu wissen, dass er es ist?

Christian Kuno Kunert: Ringelbeats[1]. Roman.
Eulenspiegel Verlag. 336 S., geb., 19,99 €.

Jacobus »Cobu« ist Filou, Bruder Leichtfuß, Brettlkünstler - in Frührente. »Ringelbeats« breitet sein Leben aus, dessen sich Cobu immer weniger sicher sein kann. Nachkriegskind, aufgewachsen in einer ostdeutschen Kleinstadt voller Ruinen und Witwen, Rebellion mit der Klampfe, verhaftet. Ein Clown, der »mit seinen Späßen den Zorn seiner Obrigkeit auf sich gezogen hatte«, immer viel Suff. Jetzt Schlaganfall, wenigstens erkannten ihn die Ärzte und Schwestern noch als früheren Prominenten. »Aus’m Osten. Aber immerhin.«

Diesem Cobu wird im Alter schon das An- und Ausziehen der Socken zur allmorgendlichen Everest-Besteigung, der Schlaganfall tut sein Übriges. Das Leben: unter den Füßen weggezogen. Er empfängt eine mysteriöse Mail, auf seinen Namen wird ein Gewächshaus bestellt, ein tot geglaubter ehemaliger Freund taucht auf, mit dessen Witwe Cobu zusammenlebt. Am Ende findet er sich in der Psychiatrie wieder - am gleichen Ort, wo er vor Jahrzehnten in Haft war, aus dem Verhörer von einst ist ein Doktor geworden.

Dazwischen die Geschichten vieler Leben gewoben, hin und her springt die Geschichte vom Nachkriegsdeutschland, bunter und grauer DDR bis in die Weltpolitik von Abrüstungsverhandlungen, die am verschwundenen Herrensteinzimmer, dem Bernsteinzimmer nicht unähnlich scheitern,. Das große Ganze und das kleine Große - gerade bei einem Debütroman winkt da die Gefahr des Ausfransens, des Sichverlierens an allen Ecken. »Ringelbeats« - man spreche sich den Titel laut in sächsischer/thüringischer Mundart vor und versteht mit einem Mal, dass der Weg bei der Beatmusik gleichzeitig Ziel war - ist anstrengend für den Leser. Was den Roman zusammenhält, ist das Können Kunerts, ebenjenes Ausfransen und auch das Sichverlieren mitzudenken und mitzuschreiben. »Ringelbeats« ist ein kluges Buch auch übers Erinnern. »Erinnern ist nichts für junge Leute«, heißt es einmal - aber für die Alten ist es eigentlich auch nichts: »So geht es mit dem Menschen zu Ende, indem er sich an was erinnern will, wovon er immer weniger weiß, was es ist. Oder er hat vielleicht ’ne blasse Ahnung, aber richtig verlassen kann er sich nur auf eins, nämlich, dass sein Gedächtnis nicht mehr funktioniert.«

Songschreiben ist Reduzieren, Abstrahieren, radikales Abkürzen. Kunert nimmt im Roman jede Ausfahrt, jede Schleife mit, manche Sackgasse droht. Aber keine, an deren Ende nicht doch noch etwas Interessantes auf den Leser warten würde.

In »Ringelbeats« steckt mehr als eine Welt, nur keine Gewissheit. Aber die ist auch gar nicht immer gut: »Gewissheit hat gegenüber Vermutung den Nachteil, dass sie nicht flexibel ist.« Das denkt Jacobus am Schluss des Buches, als er mühsam einen Berg erklimmt, um einen Totgeglaubten zu treffen. Biblisch - denn ebenjener ist auch Mit(-Schöpfer) des Cobu, der sich verzweifelt daran festhält, er selbst zu sein: »Das ist das Einzige, was ich genau weiß. Und es ist das, was mich am Leben hält.« Ein Leben, das aus der Rückschau mit jedem Blick anders aussieht, mit jedem Blick verschwindet - und neu entsteht.

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