nd-aktuell.de / 23.03.2017 / Politik

Roma in Bulgarien: Ausgrenzung und Armut

Obwohl die Minderheit einen signifikanten Anteil der Bevölkerung stellt und wächst, spielt sie bei der anstehenden Wahl keine Rolle

Leonie Mielke

Sofia. Für die Zukunft ihrer Kinder hat die 28-jährige Natascha aus Bulgarien klare Vorstellungen: Der zehnjährige Sotir soll Rechtsanwalt werden, sein Bruder Marian Arzt, Janetta Friseurin, Marianne Zahnärztin und die zweijährige Diana Lehrerin. Natascha selbst hat mit 15 Jahren ihren heutigen Freund kennengelernt und seitdem kümmert sie sich um Haushalt und Kinder, wie sie im Sozialzentrum Sv. Konstantin in der Hauptstadt Sofia erzählt. Das Zentrum wird von der Stuttgarter Stiftung Concordia finanziert.

Eine Waschmaschine hat die fünffache Mutter nicht, Geld für Essen bekommt sie von ihrem Freund, der jedoch keinen festen Job hat. Und um die knapp 200 Euro Miete für die Dreizimmer-Wohnung zu bezahlen, benötige sie die Hilfe der Großmütter, sagt Natascha, die zur Roma-Bevölkerung gehört.

»Es gibt nichts, um stolz zu sein«, sagt die zierliche Frau. Wenn sie in den Bus steige, drückten sich die Leute an die Wand und umklammerten ihre Taschen. Auch zehn Jahre nach dem EU-Beitritt Bulgariens ist das Wort »Roma« Synonym für Armut, patriarchale Strukturen und Diskriminierung.

Dilyana Gyurova, Leiterin des Sozialzentrums, in dem 90 Prozent der Kinder aus Roma-Familien stammen, sieht die Minderheit in einer Identitätskrise: »Sie verlieren ihre angestammten Berufe, wie zum Beispiel Kesselflicker oder Scherenschleifer, aber kommen in der heutigen Welt nicht an.«

Das zeige sich auch beim Thema Bildung. 50 Prozent der Roma-Kinder besuchten die Grundschule nicht bis zu Ende, weil Ausbildung in der Roma-Kultur gegenüber Heiraten und Familie gründen einen niedrigeren Stellenwert habe. Zugleich, so Gyurova, seien auch die Schulen oft schlecht: »Um das auszugleichen, bezahlen viele Eltern der ‘ethnischen Bulgaren’ ihren Sprösslingen teuren Nachhilfeunterricht«. Roma-Eltern könnten sich das nicht leisten.

Offiziellen Zahlen zufolge sind fünf Prozent der Bulgaren Roma. Allerdings sei die Angabe freiwillig und niemand wolle zu der Minderheit gehören, sagt Petja Malakova vom Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik. Laut Malakova gibt es seit 2012 eine Nationalstrategie zur Roma-Integration. Zum Beispiel habe Regierung das Ziel übertroffen, bis 2016 18.000 Roma in ein Beschäftigungsverhältnis zu bringen – über 30.000 Personen wurde ein Job vermittelt. Ob es sich dabei aber um Festanstellungen handelt oder lediglich um befristete Teilzeit-Jobs sowie Weiterbildungen, kann Malakova nicht sagen: »Solch eine Statistik haben wir nicht erhoben.«

Bulgarische Arbeitslose haben Anspruch auf eine zeitlich begrenzte Sozialhilfe von ungefähr 100 bis 150 Euro im Monat. Außerdem erhält eine Familie für die ersten drei Kinder rund 18 Euro Kindergeld im Monat. Bei mehr Nachwuchs sinkt der monatliche Betrag etwas, dahinter steckt laut Ministerium die Idee einer Familie mit maximal drei Kindern.

Diese Zahl entspricht der durchschnittlichen Geburtsrate der »ethnischen Bulgaren«, die meist zwei bis drei Kinder bekommen, während die Roma oft sechs, sieben oder acht Kinder haben. Prognosen zufolge werden die Roma in 50 Jahren die Hälfte der Bevölkerung stellen.

Hoffnungen auf Verbesserungen durch die Politik gibt es für die Roma kaum. Keine ernstzunehmende Partei thematisiert die Nöte der Minderheit in ihrem Programm für die Wahl am kommenden Sonntag.

Der liberal-konservative Ministerpräsident Bojko Borissow war im vergangenen November nach einer Niederlage gegen die Sozialisten zurückgetreten. Laut Umfragen für die jetzige Wahl kann keine der beiden Parteien eine absolute Mehrheit erwarten – eine schnelle Regierungsbildung wird nicht erwartet.

Sorgen um ihre Kinder macht sich Natascha nicht: Das Sozialzentrum werde sie schon unterstützen. 30 Minuten Busfahrt nimmt sie täglich in Kauf, um ihre beiden Ältesten in das Sozialzentrum zu bringen, wo sie nach der Schule Essen und Lernhilfe bekommen. Sie habe es nicht geschafft, aber ihre Kinder werden ein besseres Leben haben. Da ist sich die junge Frau ganz sicher. epd/nd