nd-aktuell.de / 03.04.2017 / Kultur / Seite 16

Jedermann sein eigener Zensor!

Vor 100 Jahren wurde der Malik-Verlag gegründet - eine Ausstellung des Münzenberg-Forums erinnert daran

Werner Abel

Jesus mit Gasmaske und Soldatenstiefeln, ans Kreuz genagelt, gekrönt mit dem Heiligenschein und dabei mit dem Symbol des Christentums in der linken, nicht von Nägeln durchbohrten Hand in segnender Haltung, und dann noch die Unterschrift »Maul halten und weiter dienen«, das konnte der Berliner Polizeipräsident nicht hinnehmen. Mit dieser und anderen Zeichnungen von George Grosz, erstmals gezeigt 1928 bei der Uraufführung des »Schwejk« an der Piscator-Bühne, sollte auch der Hintergrund der Inszenierung skizziert werden.

Als dann der Malik-Verlag diese Zeichnungen in der inzwischen legendären »Hintergrund«-Mappe in einer Auflage von 10.000 Stück veröffentlichte, kam es zu dem sich fast über drei Jahre hinziehenden »Blasphemie-Prozess«, an dessen Ende zwar George Grosz und sein Verleger Wieland Herzfelde freigesprochen wurden, aber die Vernichtung der Druckstöcke und der inkriminierten Blätter angeordnet wurde. Obwohl eigentlich Herzfelde ewig mit finanziellen Problemen beschäftigt war, gab es auch immer wieder Ärger mit der Justiz. Als der aus dem Baltikum stammende Harry Domela von monarchistischen Kreisen für den Hohenzollern-Prinzen Wilhelm gehalten wurde und er diese Verwechslung weidlich auskostete, entstand daraus zwar für den Verlag ein publizistischer Riesenerfolg, nach gerichtlicher Verfügung musste dann aber das Bild des Prinzen von dem von John Heartfield entworfenen Umschlag entfernt werden. Herzfelde sorgte auch dafür, dass das Werk Upton Sinclairs, damals noch Kapitalismuskritiker und Sozialist, dem deutschen Publikum bekannt wurde. Die Romane »Boston« und »Petroleum« erreichten hohe Auflagen, letzterer sogar eine Viertelmillion.

In »Das Geld schreibt« thematisierte Sinclair die Abhängigkeit der Literatur von den Interessen des großen Kapitals und Heartfield montierte auf die Rückseite des Umschlags, was eigentlich nicht ganz fair war, ein Bild der Familie des zu dieser Zeit außerordentlich erfolgreichen Sachbuchautors Emil Ludwig vor dessen Villa im Tessin. Ludwig klagte auf Unterlassung und Heartfield ließ die Köpfe der Familie Ludwigs einfach ausstanzen. Auf die Frage, weshalb er auch den Kopf des Hundes unkenntlich machte, antwortete der Fotokünstler, dass man nicht wisse, ob der Hund auch noch klage. Da es seitens der Staatsanwaltschaft eine beliebte Methode war, unbequemen politischen Texten »Pornografie« zu unterstellen, konterte Heartfield mit einer genialen Idee: Der Bestseller »Petroleum« erhielt ein Lesebändchen in Form eines Feigenblatts mit der Aufschrift »Jedermann sein eigener Zensor!« auf der einen und diesem Text auf der anderen Seite: »Dem sittlichen Leser wird anheimgestellt, Stellen, die ihm gefährlich werden können, im Notfall mit diesem Feigenblatt zu bedecken«. Nein, die Justiz schenkte den Maliks, wie die Brüder Wieland und Helmut Herzfelde oft genannt wurden, nichts. Dabei hätte niemand gedacht, dass die beiden Brüder - Helmut anglisierte seinen Namen aus Abscheu gegen den großdeutschen Nationalismus zu »John Heartfield« - als erklärte Kriegsgegner und später auch Kommunisten den wohl erfolgreichsten linken Verlag in der Weimarer Republik betreiben würden.

Begonnen hatte alles mit der Zeitschrift »Neue Jugend«, die im Verlag von Heinz Barger erschienen und immer wieder verboten worden war. Nach der Trennung von Barger schlug, wie Wieland Herzfelde erzählte, jemand im Frühjahr 1917 vor, den Verlag nach dem Helden eines Romans von Else Lasker-Schüler mit dem Titel »Der Malik« zu nennen. »Malik«, auch abgeleitet von dem hebräischen »Melech«, bedeutet Anführer oder Herzog, und man konnte dem Chef der Zensur, dem General von Kessel, erzählen, es handle sich um einen türkischen Prinzen, um einen Verbündeten Deutschlands im Ersten Weltkrieg. Die Täuschung gelang, der Verlag begann zu arbeiten, aber alle seine Zeitschriften wurden bald nach ihrem Erscheinen auch wieder verboten. Aber trotz der Rückschläge blieben die Buchproduktion ebenso wie der Erfindungsreichtum von Herzfelde erstaunlich.

Immer wieder wurden neue Reihen in Angriff genommen, so die »Rote Romanserie«, die »Kleine revolutionäre Bibliothek«, die »Märchen der Armen«, die »Sammlung revolutionärer Bühnenwerke«, »Unten und Oben«, »Wissenschaft und Gesellschaft« usw. Nicht unerwähnt bleiben dürfen auch die zwanzig Titel der »Kleinen Malik-Bücherei« sowie das Gesamtwerk von Upton Sinclair, das von Hermynia zur Mühlen, Elias Canetti, Paul Baudisch und Julian Gumberz übersetzt wurde. Aber auch auf die Klassenjustiz und den reaktionären Militarismus in der Weimarer Republik reagierte der Malik-Verlag z.B. mit den Büchern von Max Hoelz, Theodor Plivier, Ernst Ottwalt, Ludwig Turek, Leonhard Frank und Walter Müller. Besonderes Augenmerk aber galt der russischen und neuen sowjetischen Literatur. Der Malik-Verlag übernahm vom Ladyschnikow-Verlag die Rechte am Werk von Maxim Gorki. Dessen Gesamtwerk und die ebenfalls von Malik editierte Werkausgabe Leo Tolstois gehören zum Besten, was deutsche Verlage hervorgebracht haben. Das neue, revolutionäre Russland erschien dann in den Büchern von Ilja Ehrenburg, Isaac Babel, Alexandra Kollontai, Konstantin Fedin, Wsewolod Iwanow, Lydia Sejfullina, Sergej Tretjakow und anderen. Bezeichnend auch, dass das letzte (1932) erschienene Malik-Buch, F.C.Weiskopfs Bericht über seine Reise durch die Sowjetunion, den Titel »Zukunft im Rohbau« trägt.

1933 konnte Wieland Herzfelde in letzter Minute das nationalsozialistische Deutschland verlassen. Umtriebig, wie er war, versuchte er zunächst in der ČSR, dann in England seinen Verlag wieder zu aktivieren. Obwohl die Schwierigkeiten immens waren, konnte er doch die Literaturzeitschrift »Neue deutsche Blätter« in dem eigens dafür gegründeten Faust-Verlag erscheinen lassen. Bücher, die unter dem Namen »Malik« im Exil produziert wurden, trugen im Impressum neben »Malik, Berlin« den hoffnungsvollen Zusatz »Direktion z. Z. Prag«. Aber die Nazis löschten den Verlag im Handelsregister, damit war der Name »Malik« gefährdet. Es entstand eine vertrackte Situation: In der ČSR erhielt Herzfelde Asylrecht, durfte aber keine Bücher verlegen. In England war es umgekehrt. 1939 erschien dort mit Bertolt Brechts »Svendborger Gedichten« das letzte Buch mit dem Malik-Signet.

Zu den Aktivitäten Herzfeldes im Exil gehörten auch sein wenig bekannter Vorschlag an die KPD-Vertretung in Moskau, dass der Malik-Verlag gemeinsam mit der »Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR« (Vegaar) den größten deutschen Exilverlag gründet. Genial dabei sein Hinweis, die durch die Aufnahme von Nazi-Literatur pervertierte »Insel-Bücherei« durch eine fortschrittliche »Festland-Bibliothek« zu ersetzen. Was er nicht wusste, war, dass ihm die KPD-Führung zutiefst misstraute und dass man den Direktor der deutschen Sektion der Vegaar bald darauf in Moskau verhaftete. Herzfeldes Pläne konnten also nicht realisiert werden. Ein Neubeginn fand im New Yorker Exil mit der Gründung des Aurora-Verlags statt. Das letzte Buch, 1947 erschienen, hieß »Morgenröte« und war ein Lesebuch, das alle Stimmen vereinte, die für ein neues, demokratisches Deutschland wichtig sein sollten.

Die Bücher des Malik-Verlags sind nicht nur literarisch wertvoll, sie gehören auch zu den schönsten überhaupt. Herzfelde hatte Illustratoren wie George Grosz und Rudolf Schlichter gewonnen. Die Einbände und Umschlage wurden aber hauptsächlich von Heartfield gestaltet. Kurt Tucholsky schrieb 1932 in der »Weltbühne«: »Wenn ich nicht Peter Panter wäre, möchte ich ein Buchumschlag im Malik-Verlag sein. Dieser John Heartfield ist wirklich ein kleines Weltwunder.«

An diesem Montag (3. April, 18 Uhr) wird im FMP1 am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin die Ausstellung »100 Jahre Malik-Verlag« eröffnet. Der Eintritt ist frei.