nd-aktuell.de / 05.04.2017 / Berlin / Seite 9

»Er könnte ein Nachbar sein«

Fünf Jahre nach dem Mord an Burak Bektas ist der Täter noch immer nicht gefasst

Johanna Treblin

Noch ist nicht viel zu sehen auf dem Platz gegenüber dem Neuköllner Krankenhaus. Ein kleiner Bagger und ein Loch sind die ersten Anzeichen dafür, dass hier einmal etwas entstehen wird: Ein Gedenkort für Burak Bektaş, der hier am 5. April 2012 ermordet wurde. Am Mittwoch wird der Platz eingeweiht, der Grundstein für eine Gedenkskulptur wird gelegt, die in einem Jahr hier stehen soll. Bis dahin soll die gesamte Gestaltung des Platzes fertiggestellt sein. 50 000 Euro will die »Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş« dafür sammeln, über die Spendenplattform betterplace. Etwa die Hälfte des Geldes fehlt noch.

Burak Bektaş stand am 5. April 2012 mit Freunden vor dem Krankenhaus an der Rudower Straße. Wortlos näherte sich ihnen ein Mann und schoss auf die Gruppe. Der 22-jährige Bektaş fiel zu Boden und starb. Zwei seiner Freunde wurden schwer verletzt. Der Schütze floh. Bis heute ist der Mord nicht aufgeklärt.

Große Hoffnung hatten Initiative und Familie in einen anderen Gerichtsprozess gesetzt: Den um den Mörder des Briten Luke Holland, der ebenfalls in Neukölln getötet wurde. Nach einem viermonatigen Prozess wurde Rolf Z. im Juli 2016 vom Gericht des heimtückischen Mordes verurteilt. Ein eindeutig rassistisches Tatmotiv sah das Gericht nicht - wohl aber die Eltern Hollands und die Unterstützer der Familie Bektaş. Weil die Morde an Holland und Bektaş mehrere Parallelen aufweisen, könnte Z. auch als Mörder des 2012 getöteten jungen Mannes in Frage kommen. Sie hatten sich vom Gerichtsverfahren weitere Aufklärung erhofft.

Helga Seyb, Sprecherin der Initiative und Mitarbeiterin der Opferberatungsstelle ReachOut, sagte: »Es gibt Übereinstimmungen im Verhalten. Ein Mann kommt auf die Straße, schießt, geht weg.« Letzten Endes habe der Prozess aber keine neuen Ermittlungsergebnisse in Sachen Bektaş ergeben.

Der Zusammenhang zwischen den beiden Morden sei nicht ausreichend untersucht worden, kritisierte hingegen die Initiative zum Ende des Prozesses gegen Rolf Z. Dabei habe es ausreichend Hinweise gegeben: Zum Beispiel habe Rolf Z. im Haus seines Bruders häufig Schießübungen gemacht, nur wenige Straßen von dem Ort entfernt, an dem Bektaş ermordet wurde. Auch die Anwälte der Familie kritisieren die Arbeit der Behörden. »De facto scheint die Staatsanwaltschaft Berlin die Ermittlungen eingestellt zu haben«, schreiben sie in einer Mitteilung vom Dienstag.

Martin Steltner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, weist die Vorwürfe zurück. »Mit großem Aufwand haben wir versucht, den Fall aufzuklären, und sind auch weiter dabei«, sagte er dem »nd«. Auch sei die Staatsanwaltschaft den Hinweisen zu Verbindungen zu Ralf Z. nachgegangen. Aber: »Die Ausgangslage für Ermittlungen ist schwierig.« Die Zeugenaussagen, die Z. hätten belasten können, seien nicht ausreichend für eine Anklage, auch die Schmauchspuren hätten nichts ergeben.

Bereits vor eineinhalb Jahren forderten die Anwälte den Generalbundesanwalt auf, die Ermittlungen zu übernehmen. Jetzt erneuerten sie ihre Forderung. »Die Generalbundesanwaltschaft ist zuständig, wenn durch Straftaten der innere Frieden gefährdet ist«, sagte der Rechtsanwalt der Familie, Mehmet Daimagüler, dem »nd«. In der türkischen Gemeinde in Berlin herrsche große Verunsicherung, weil der Fall noch immer nicht aufgeklärt sei. Aus dem Fall um den NSU habe man gelernt, dass eine regional unabhängige Ermittlung der Aufklärung besser diene. Der Generalbundesanwalt müsse selbst tätig werden. Dieser lehnte das jedoch bereits im Januar vergangenen Jahres ab. Man sehe keine Anhaltspunkte für ein Staatsschutzdelikt, hieß es damals.

Auch Seyb wünscht sich, dass die »Akte noch mal aufgerollt« wird. »Dabei könnten Dinge entdeckt werden, die von den bisherigen Ermittlern nicht mehr gesehen werden.« Die Familie brauche Gewissheit. »Sie wissen nicht, ob sie dem Mörder jeden Tag über den Weg laufen. Er könnte in der gleichen Straße wohnen wie sie, er könnte ihr Nachbar sein.«