nd-aktuell.de / 05.04.2017 / Politik / Seite 1

Entsetzen über Giftgasangriff in Syrien

Faktenlage dünn / Westliche Länder weisen Damaskus Schuld zu / Russland bestreitet Verantwortung

Roland Etzel

Die gegen die syrische Regierungsarmee operierenden Milizen beherrschen momentan nur noch eine Provinz nahezu komplett. Das ist Idlib im Nordwesten an der Grenze zur Türkei. Dort soll am Dienstag ein Luftangriff fast 60 zivile Todesopfer gefordert haben, auch Kinder, und das alles durch freigesetztes Giftgas.

Wie häufig in Syrien ist die Nachrichtenlage unübersichtlich. Verbreitet wurde die Mitteilung von der Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die den bewaffneten Rebellen nahesteht. Sie meldete sich aus Beirut und berief sich auf Augenzeugen. Diese hätten Verletzte gesehen mit typischen Symptomen von Giftgas-Opfern wie Atemnot, Ohnmachtsanfällen, Übelkeit und Schaum vor dem Mund.

Ähnliches berichtet ein AFP-Reporter. Er habe in einer Klinik in Chan Scheichun, einer 50 000-Einwohner-Stadt nahe Idlib, vier Tote mit Schaum vor dem Mund gesehen, darunter ein Mädchen und eine Frau. Aufnahmen aus der Klinik zeigten Rettungskräfte der syrischen Weißhelme, die Verletzte mit Wasser abwuschen. Die Weißhelme sind eine private und vom Westen unterstützte Zivilschutzorganisation von Freiwilligen in Syrien, die den Oppositionsmilizen nahesteht und nur in von diesen kontrollierten Teilen des Landes aktiv ist.

Welches Giftgas zu den Verletzungen geführt haben soll, wurde bis Dienstagnachmittag von keiner der genannten Seiten verifiziert. Der Fernsehsender »Orient News«, der einem exilierten syrischen Geschäftsmann gehört und von den Vereinigten Arabischen Emiraten aus sendet, sprach von Sarin, einem nach den internationalen Konventionen geächteten Giftstoff. Spiegel online schreibt ebenfalls, Ärzte sprächen davon, dass »möglicherweise« der chemische Kampfstoff Sarin eingesetzt worden sei. Andere Vermutungen gehen in Richtung Chlor. Letzteres ist nicht international geächtet, weil es vor allem für zivile Zwecke genutzt wird.

Die Provinz war bereits häufig Ziel russischer und syrischer Kampfjets. Aber auch die US-geführte Koalition, die in Syrien Dschihadisten bekämpft, hat dort schon Angriffe geflogen. Damaskus bestätigte indirekt einen Angriff, bestritt aber, dass Giftgas zum Einsatz gekommen sei. Es handle sich um eine »Falschanschuldigung« der Opposition, zitierte AFP Sicherheitskreise. Dagegen wiesen die russischen Streitkräfte deutlich jegliche Verantwortung für einen Giftgas-Angriff zurück. In der betroffenen Region um die Stadt Chan Scheichun habe die russische Luftwaffe keinerlei Angriffe geflogen.

Ungeachtet der dünnen Faktenlage werden Russland und Syrien von westlichen Ländern verantwortlich gemacht. Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault beantragte wegen des »besonders schwerwiegenden Chemiewaffenangriffs« eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats.