Schwäbisch als Indiz

Mordfall Maria Bögerl schien geklärt - doch Festgenommener wurde wieder freigelassen

  • Thomas Burmeister 
und Tatjana Bojic, Ellwangen
  • Lesedauer: 3 Min.

Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit, meint der Volksmund. Der Mordfall Bögerl schien deshalb kurz vor der Aufklärung zu stehen. In der ZDF-Sendung »Aktenzeichen XY ... ungelöst« wird am Mittwochabend eine Tonaufnahme eines Verdächtigen abgespielt. Der Mann lallt, offenkundig ist er betrunken. Er will Maria Bögerl erstochen haben.

Wenn wirklich gestimmt hätte, was er im Juli 2016 zwei Männern in Hagen in Nordrhein-Westfalen erzählte - und dabei unwissentlich in einen Handyrekorder sprach - , hätte einer der spektakulärsten Mordfälle der deutschen Kriminalgeschichte nach sieben Jahren wohl endlich zu den Akten gelegt werden können. Doch nicht einmal einen Tag nach seiner Festnahme war der Tatverdächtige am Donnerstag wieder auf freiem Fuß.

Der Mann sei ein »Spinner«, hörten Fotografen, die sein Wohnhaus in Königsbronn bei Heidenheim ablichteten, am Vormittag von Nachbarn. Dabei waren die Hoffnungen groß, nachdem Millionen von Zuschauern die ZDF-Sendung verfolgt hatten und wenig später dank Hinweisen aus der Bevölkerung der 47-jährige Verdächtige in seinem Wohnort festgenommen werden konnte. Der Ort liegt zehn Kilometer von Heidenheim entfernt, wo einst Familie Bögerl wohnte. Was der Mann auf dem Band sagte, zeugte durchaus von Ortskenntnis.

Gab es also nach jahrelangen Ermittlungen, nach der Auswertung von rund 10 400 gesicherten Spuren und einer Datensammlung, die 25 Terabyte umfasst, endlich wieder eine greifbare Spur? Und deutete nicht vieles darauf hin, dass dies der Richtige war? Der Verdächtige redete, wie man auf einem vom Bundeskriminalamt freigegebenen Ausschnitt hören konnte, von einer militärischen Ausbildung - in psychischer Verteidigung. Und von einem Messer vom Typ Aitor Jungle King.

Ob Maria Bögerl mit so einem Messer umgebracht wurde, ist ungeklärt. Gerichtsmediziner könnten dazu keine konkreten Angaben mehr machen, so der leitende Ermittler Michael Bauer von der Polizei in Ulm. Als die Leiche gefunden wurde, war sie zu stark verwest. Es gab noch weitere Indizien: »Nach unserer Einschätzung könnte dieser Unbekannte tatsächlich der Mörder von Maria Bögerl sein«, meinte Bauer. In seiner mehrstündigen Vernehmung bestritt der Verdächtige jede Schuld. Eine Speichelprobe gab er laut Polizei widerstandslos ab. Sie wurde mit den Erbsubstanzspuren, die 2010 an Tatorten gesichert wurden, abgeglichen. Ergebnis: negativ. Die Enttäuschung war Staatsanwalt Armin Burger anzumerken, als er sagte, »leider« habe der DNA-Test keine Übereinstimmung ergeben. Doch er betonte, dass die rasche Festnahme des Verdächtigen aus Sicht der Ermittler absolut richtig war.

Schließlich sei es durchaus bemerkenswert, dass sich ein Mann mit bester Ortskenntnis, da er ja aus der Umgebung des Tatorts stammt, am Rande eines Krankenhausaufenthaltes in Hagen unter Alkoholeinfluss mit dem Mord rühmte. Sogar sein Dialekt wurde von Burger zur Begründung angeführt: »Es ist natürlich ein Indiz gewesen, dass er schwäbisch gesprochen hat.« Das sollen seinerzeit auch die Kidnapper von Maria Bögerl getan haben. Die Ehefrau des damaligen Heidenheimer Sparkassenchefs war am 12. Mai 2010 aus ihrem Haus entführt worden. Die Täter verlangten 300 000 Euro. Die Übergabe des Lösegelds scheiterte. Anfang Juni 2010 fand ein Spaziergänger dann die verweste Leiche der 54-Jährigen an einem Waldrand bei Heidenheim. Ihr Ehemann tötete sich später selbst. Er war in Verdacht geraten, in den Fall verwickelt zu sein, was sich jedoch nicht erhärten ließ.

Zu den Fragen, die der Fall aufwirft, gehört diese: Warum haben die Ermittler bis April 2017 mit einem öffentlichen Aufruf gewartet, wenn sie die Bandaufnahme aus Hagen doch schon im Sommer 2016 auf dem Tisch hatten? Staatsanwalt Burger verweist darauf, dass die Kriminalisten keineswegs untätig gewesen seien. Um den »schwäbelnden« Verdächtigen zu identifizieren, habe man unter anderem sämtliche Meldeämter abgegrast und umfangreiche Akten der Rentenversicherung überprüft. dpa/nd

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