»Jeder Tag hat sein besonderes Leben«

Renate Hoffmann hörte in den »Gärten der Welt« die Blumen flüstern

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Internationale Gartenschau ist eröffnet in Berlin Marzahn. Um die Zukunft von urbanem Grün soll es gehen, etwa zwei Millionen Besucher werden erwartet. Rund 5000 Veranstaltungen sollen locken. Zum Auftakt gab es am Osterwochenende das traditionelle Kirschblütenfest.

Das Buch von Renate Hoffmann über die »Gärten der Welt« erscheint also genau zum richtigen Zeitpunkt - und ist doch auf wohltuende Weise nicht an einen Anlass gebunden. Es wäre im vorigen Jahr schon willkommen gewesen und wird es auch im folgenden noch sein. Es ist kein Begleitband zur Gartenschau, sondern das Werk einer Pflanzenkennerin - und Dichterin. Ein Roman kommt mir in den Sinn, den ich vor vielen Jahren gelesen habe: »Die Dame in Blau« von Noëlle Châtelet. Darin verändert eine Frau Anfang 50 ziemlich radikal ihr Leben, als sie auf einem Pariser Boulevard eine Frau in einem Kleid aus Seidenkrepp, mit blauem Hut und Netzhandschuhen vor sich her spazieren sieht. Wie die »Dame in Blau« ungeachtet der Hektik um sie her mit Bedacht einen Fuß vor den anderen setzt, das wird für die Jüngere zur Erleuchtung. Könnte man nicht entspannter durch den Alltag gehen?

Die Gartenschau in Berlin gibt es - in kleinerem Umfang als heute - seit 1987. Über die Jahre war ich schon mehrmals dort, oft auch für viele Stunden. Dass ich mir dennoch zu wenig Zeit gelassen habe, dieser Gedanke lässt mich bei der Lektüre von Renate Hoffmanns Buch nicht los.

Die Natur im Jahreslauf: Vom zeitigen Frühling bis zum Winteranbruch reichen die Gartenimpressionen, die so nur aufgeschrieben werden konnten, weil die Autorin eben sehr oft und sehr ausgiebig an diesem Ort gewesen ist, begleitet oft auch von ihrem Mann, Peter Hoffmann, der dem Buch Zeichnungen beigesteuert hat.

Wie viele Pflanzen werden da bei ihren Namen genannt. Es könnte ein botanisches Kompendium sein, aber Renate Hoffmann geht es immer auch um Eindruck und Ausdruck. »Es flüstern und sprechen die Blumen« - der Titel passt. Hier lässt sich jemand bewegen und will auch uns begeistern. Dabei stellen sich der belesenen Autorin immer wieder Bezüge her zu Dichtung und Malerei. Und wenn kein Dichter zur Stelle ist, etwa die Trauerweide oder die fallenden Blätter zu besingen, fallen Renate Hoffmann auch mal eigene Verse ein.

Das Konzept zu »Gärten der Welt« ist im Jahre 2000 entstanden, als der »Chinesische Garten« eingeweiht wurde. Es folgten der Japanische, der Balinesische, der Orientalische, der Koreanische Garten, der italienische Renaissancegarten, der Christliche Garten, und in diesem Jahr kommt ein Englischer Garten hinzu. Es geht also um internationale Gartenkunst verschiedener Epochen und Regionen und damit um die mannigfaltigen Möglichkeiten, wie Menschen Natur zu ihrer Erbauung gestalten. Dabei hat jeder der Gärten einen ganz eigenen Zauber, den Renate Hoffmann zu erspüren sucht. Oft kommen ihr dabei auch Dichter zu Hilfe, was ihr im Chinesischen und im Orientalischen Garten besonders gut gelingt. Dass in letzterem an den Innenleisten der vier Gartenmauern, teils auf Fliesen, teils in Stuckgips, zwei Gedichte angebracht sind, war mir bei der Bewunderung der floralen Ornamente noch gar nicht aufgefallen. Im Buch nun sind sie in Übersetzung zu lesen. Und im Christlichen Garten nahm ich mir auch nicht die Zeit, die Texte auf den goldenen Gittern so eindringlich zu studieren, wie Renate Hoffmann es tat. Also verstand ich dieses Gesamtkunstwerk mit seinem »weißen Geblühe« nur unvollkommen. Ja, eigentlich nicht.

Weil es in einem Garten auch nicht vornehmlich ums Verstehen und Durchdenken geht, sondern darum, die logische Zielstrebigkeit, die einen meist beherrscht, einmal von sich abzustreifen (ganz befreit man sich davon kaum) zugunsten von Intuition, Neugierde, Phantasie. Das Eintauchen in Bilder - Renate Hoffmann hat es für ihr Buch noch kultiviert. Und dann war es ihr wohl auch ein Genuss, wie das Empfinden zur Sprache wird. »Es gibt der Blumen viele: stolze, bescheidene, demütige und eitle, unterwürfige, melancholische und heitere und stille; himmelzarte, verspielte und liebliche, scheue und schüchterne und romantische; abweisende, unnahbare, störrische, hochmütige, großmäulige, verführerische und geheimnisvolle. - Eines gilt in jedem Falle: Welken werden sie alle.«

Mein Herz gehört den Rosen; ich habe jetzt 67 davon im Garten und möchte sie jeden Tag bei ihrem Wachsen bewundern. Vielleicht tut ihnen das ja sogar gut, hoffe ich. Aber auch Karl Foersters Liebe zum Rittersporn kann ich gut verstehen. Das Kapitel über diesen genialen Staudenzüchter, Gartenschriftsteller und Gartenphilosophen war für mich im Buch besonders anregend. Unbedingt werde ich einmal zu seiner Wirkungsstätte in Potsdam-Bornim fahren, vor allem aber für den Karl-Foerster-Garten in Marzahn, den es schon zu Beginn der Gartenschau gab, mehr Aufmerksamkeit aufbringen.

Aufmerksamkeit, ja, darum geht es. Aufmerksamkeit für Einzelheiten, Erholung vom Tagesplan. Flaniere, verweile, eile nicht von Attraktion zu Attraktion, wie es die Gestalter der Internationalen Gartenschau für die Besucher vorgesehen haben, und weil du für die 20 Euro Eintritt alles gesehen haben willst. Heute muss doch alles zum Event werden, weil es um Massenverkäuflichkeit geht. Du kannst dich darauf einlassen oder auch nicht. Renate Hoffmann führt mit ihrem Buch ein ganz besonderes »Großraum-Paradies« vor Augen und darüber hinaus eine Lebenshaltung, zu der ein Zitat von Karl Foerster passt: »Jeder Tag hat sein besonderes Leben und oft seine besondere Magie.«

Renate Hoffmann: Es flüstern und sprechen die Blumen. Spaziergänge durch die Gärten der Welt. Zeichnungen von Peter Hoffmann. Das Neue Berlin. 160 S., geb., 12,99 €.

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