Die unbegründete Angst vor Meister Isegrim

22 Wölfe leben in Sachsen. Da die beiden Lausitzer Rudel ihre fast ausgewachsenen Welpen bald wegbeißen, müssen diese sich neue Reviere in Deutschland erobern. Jäger und Schäfer sehen es mit Argwohn. Ein regionales Wolfs-Kontaktbüro bemüht sich um Konflik

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.
Der Wolf, das unbekannte Wesen. Jeder im Lande glaubt ihn zu kennen, hört von klein auf die Gruselmärchen um Rotkäppchen und die sieben Geißlein. Und doch weiß die Menschheit noch nicht einmal Verbindliches über das Wanderverhalten von Wölfen in Mitteleuropa. Als sicher gilt nur, dass Isegrim auf der Suche nach einem Partner Hunderte Kilometer hinter sich bringt.
Um diesen Lusttrieb genauer auszuloten, sollen nun sechs Jungwölfe aus der Oberlausitz einen Sender erhalten. Damit will das Bundesnaturschutzamt vor allem klären, wohin sich die Jährlinge, die alle 2005 in Sachsen zur Welt kamen, in Sachen Familiengründung bewegen. »Denn sie sind langsam geschlechtsreif, so dass sie von den Eltern bald weggebissen werden«, erzählt Jana Schellenberg vom Kontaktbüro Wolfregion Lausitz in Rietschen. Tiere aus beiden Rudeln, die heute durch die Wälder zwischen Hoyerswerda und Bad Muskau streifen, sollen in die Fangnetze gehen. Doch so einfach ist das nicht. Unlängst mühten sich die Treiber vergebens, ihrer habhaft zu werden. Dabei hatte man extra den Neuschnee abgewartet, um frische Fährten verfolgen zu können.

Scheue Wildtiere, die den Menschen meiden
Das war sofort Wasser auf die Mühlen der Wolfsgegner, denen das Wiederauftauchen der Raubtiere in Deutschland seit 1996 gegen den Strich geht. Bauern fürchten um ihre Schafe, Jäger sehen die Grauen als Konkurrenten, und vor dem geistigen Auge manches allzu ängstlichen Zeitgenossen laufen sofort Bilder einschlägiger Horrorfilme ab. Gerade bei Letzteren verbinde sich mit dem Wolf »ein diffuses Gefühl der Bedrohung, das sich rational nur schwer ausräumen, aber eben gut schüren lässt«, weiß Jana Schellenberg.
Dabei sei bisher kaum einem Mensch bereits ein Lausitzer Wolf über den Weg gelaufen. Und für den seltenen Fall, dass dies doch passiert, versichert die diplomierte Forstwirtin: »Von einem gesunden Wolf in freier Wildbahn geht keine Gefahr für den Menschen aus. Wir zählen nicht zu seinem Beutespektrum.« Der Wolf meide den Menschen. Ausnahmen bildeten tollwütige Tiere oder »habituierte Wölfe, die mit ihm Futter verbinden, weil er sie einst angefüttert hat«. Auf die mittlerweile 22 Lausitzer Wölfe, die derzeit auf knapp 700 Quadratkilometern leben, treffe das indes nicht zu.
Deren fünf Stammtiere wanderten seit 2002 aus Polen zu, wo rund 600 Wölfe heimisch sind. In beiden Ländern gelten sie aber laut EU-Artenschutzverordnung als »streng geschützt«. Sie dürfen nicht gejagt oder vertrieben werden. Vielmehr sind für sie Schutzgebiete auszuweisen. Ausnahmen bilden sogenannte Problemwölfe, die sich ähnlich Braunbär Bruno »auffällig« benehmen. »Doch alle Lausitzer Wölfe verhalten sich korrekt«, sagt Gesa Kluth, die führende deutsche Wolfsbiologin.
Das Rietschener Kontaktbüro will neutral vermitteln, wenn sich wegen der Wölfe Probleme zwischen Menschen, Haus- und Wildtieren auftun. Doch eine Notwendigkeit, regulierend in die ohnehin noch instabile Population einzugreifen, sieht Jana Schellenberg nicht. Ohnehin könne die Wolfsdichte in einem Revier nie ausufernd wachsen, da eben die Jungtiere regelmäßig zum Abwandern gezwungen sind. Und die Zahl der aufgezogenen Welpen bemesse sich nach der Zahl der Beutetiere, wie Hirsch, Reh und Wildschwein. »Werden sie seltener, überleben auch weniger Jungwölfe. Ein Ausrotten des Schalenwilds ist also nicht zu erwarten«, betont die Expertin.

Jäger fürchten die Konkurrenz
Eine Ausnahme bildet indes das einst eingebürgerte Mufflon. Während es in seiner sardinischen Heimat vor Wölfen in steile Felsbereiche flüchten kann, ist es im flachen Lausitzer Sand weitgehend hilflos den Attacken der Wölfe ausgeliefert, die einen Großteil des Mufflon-Bestandes bereits aufgefressen haben.
Doch nicht nur deshalb sind die Jäger verschnupft. Christian Berndt, Chef des regionalen Jagdverbandes, mag es schlicht nicht hinnehmen, dass ein Rudel pro Jahr gut 500 Stück Schalenwild schlägt. Für ihn ist Jagd »kein Luxus sondern ein Wirtschaftsfaktor« und der Wolf damit ein Mitbewerber um das kostbare Gut. Manche Jäger sehen ihn gar als geschützten Wilderer, zumal Sachsen diesbezüglich allen Schadensersatz an Jagdpächter und Waldbesitzer ablehnt. »Wild ist herrenlos. Erst mit dem Erlegen erwirbt der Jäger das Eigentum an einem Stück Wild«, lautet die offizielle Lesart nach Bundesjagdgesetz. Und einige Förster feiern den Wolf gar als natürlichen Verbündeten. Denn hohe Wildschäden auf Feldern und im Wald rühren letztlich aus zu starken Schalenwildrudeln.
Dagegen haben sich die Schäfer im Wolfsgebiet auf die ungeliebten Nachbarn eingestellt. Von Wölfen gerissene Schafe bilden längst die Ausnahme. »Wo es früher flache Elektrozäune taten, braucht man dazu heute natürlich teure Netze, teilweise auch hohe Lattenzäune, um seine Herde wolfssicher einzupferchen«, berichtet Frank Kieslich. Der Schäfermeister erzählt es dennoch ohne alle Aufregung. Er legte sich wehrhafte Herdenhunde zu und bringt sich zugleich für Sachsens Schafzuchtverband in eine Arbeitsgruppe von Wildbiologen und Naturschützern ein. Denn auch Schäfer bekommen nur noch in Ausnahmen Wolfsrisse entschädigt. Allerdings bieten ihnen private Wolfsfreundegruppen materielle und praktische Hilfe an, etwa beim Zaunbau.

Aufklären gegen Unwissenheit
Dass sich die Lausitzer Wölfe weiter ausbreiten, halten Experten für sehr wahrscheinlich - und im Gegensatz zu vielen Jägern auch wünschenswert. Denn damit in Deutschland eine überlebensfähige Population entsteht, müssten ausgewachsene Welpen die Chance haben, neue Reviere zu erobern, so Thomas Kappe vom Bundesnaturschutzamt. Als Richtzahl gelte dabei: vier Wölfe pro 100 Quadratkilometer.
Doch findet Isegrim in Deutschland überhaupt geeignete Lebensräume vor? »Er ist sehr anpassungsfähig, braucht nur ausreichend Beutetiere sowie ungestörte Ruheplätze. Dem entsprechen viele Gebiete in Deutschland«, so Jana Schellenberg. Problematischer sei es dagegen mit der Einstellung der Bevölkerung. Der Naturschutzbund (NABU) startete darum das Projekt »Willkommen Wolf«. Man will ehrenamtliche Wolfsbetreuer einsetzen, bietet Wolfspatenschaften an. Auch Sachsens staatliches Wolfsmanagement fokussiert sich noch vor allem auf mehr Akzeptanz bei den Menschen - durch Aufklärung sowie Lösung und Minimierung von Konfl...

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