Dr. Suhr bedauerte außerordentlich

Wie es zur Verabschiedung eines Sozialisierungsgesetzes in Berlin 1947 kam und warum es unerfüllt blieb

»Konzernenteignung beschlossen«, »Notmaßnahmen für die Opfer der Kälte und des Hungers«. So und ähnlich waren Berichte der Berliner Tageszeitungen über die 15. Ordentliche Berliner Stadtverordnetenversammlung am 13. Februar 1947 getitelt. Auf der Tagesordnung des im Herbst des Vorjahres gewählten Parlaments stand der Antrag der SPD-Fraktion, ein Gesetz zur Überführung von Konzernen und sonstigen wirtschaftlichen Unternehmen in Gemeineigentum zu erlassen. Drei der vier in der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Parteien hatten entsprechende Anträge eingebracht, die SPD am 27. November 1946, die SED einen Tag später und die CDU am 10. Dezember. Auch der Berliner FDGB hatte gemäß der nachdrücklichen Forderung der Belegschaften von Großbetrieben einen solchen Gesetzesentwurf eingereicht. Bemerkenswert ist, dass die Sprecher aller Antrag stellenden Fraktionen die gewünschte Vergesellschaftung als eine gesamtdeutsche Angelegenheit begründeten. Stadtverordneter Josef Orlopp (SED) begründete den Beschluss des wirtschaftspolitischen Ausschusses und bat die Versammlung und auch den Magistrat um Zustimmung zum Gesetzesentwurf. Karl Maron bekundete in der Debatte, die SED werde für diesen stimmen, obwohl er schwerwiegende Mängel aufweise. Er erinnerte daran, dass das »Sozialisierungsgesetz« von 1919 nur auf dem Papier gestanden habe, nicht umgesetzt wurde, weil es zu vieles offen gelassen hat. Auch diesmal handele es sich um ein Rahmengesetz. Entscheidend seien jetzt die Durchführungsbestimmungen und der Wille der Durchführenden. Ähnlich äußerte sich in der Diskussion Otto Bach (SPD). Die Sozialisierung sei in der Weimarer Republik versäumt worden, Resultat dieses Säumnisses seien die Trümmerhaufen, die überall in Deutschland noch zu sehen wären. Dr. Tiburtius von der CDU betonte, Berlin solle Vorsorge für eine gesamtdeutsche Gemeinwirtschaft treffen, damit künftig »wirtschaftliche Zusammenballungen keinen illegitimen Einfluss auf die Staatsgewalt ausüben können und die Bevölkerung vor dem Missbrauch monopolistischer Mächtegruppen geschützt wird«. Nach der dritten Lesung stimmten die drei Fraktionen (SPD, CDU, SED) dem Entwurf des Konzern-enteignungsgesetzes zu. Allein die von Carl-Hubert Schwennicke geführte Fraktion der Liberaldemokraten (LDP) votierte dagegen. Schwennicke wurde später vom Siemens-Konzern mit einem Direktorenposten gedankt. Das Abstimmungsergebnis wurde von den Anderen mit großem Beifall aufgenommen. Stadtverordnetenvorsteher Dr. Otto Suhr (SPD) unterstrich die Bedeutung des Beschlusses und richtete an die Alliierte Kommandantur die Bitte, diesem ihren Segen zu geben. Die Berliner Bevölkerung befand sich im Winter 1946/47 in einer dramatischen Situation. Es herrschten minus 20 Grad, Dauerfrost und akuter Kohlemangel. Suhr hatte zu Beginn der Parlamentssitzung einen »Nachruf« auf die bereits 131 Opfer des strengen Winters sowie die 83 Toten bei einer Brandkatastrophe in Spandau verlesen. Über 30 000 Berliner befanden sich wegen Erfrierungen in ärztlicher Behandlung. Gezählt wurden 1500 Betriebsstilllegungen, von denen waren 74 000 Beschäftigte in allen Sektoren Berlins betroffen waren. Die Industriegewerkschaften begannen für ihre Mitglieder Notfallgeld auszuzahlen. In dieser dramtischen Situation begann nun der Kampf um die Verwirklichung des Konzernenteignungsgesetzes. Entgegen der gelegentlich anzutreffenden Meinung hat die Berliner Alliierte Kommandantur das Konzernenteignungsgesetz nie für null und nichtig erklärt. Aber mit dem Befehl (BK/0 47) vom 5. März 1947 schob sie dessen Inkraftsetzung erst einmal hinaus. Als Begründung wurde angeführt, es müsse erst eine Liste der zur Enteignung vorgesehenen Betriebe vorgelegt werden. Zudem ginge es auch um den Schutz der Vermögensanteile der westlichen Alliierten. Suhr bedauerte diese Entscheidung außerordentlich: Nunmehr werde der Magistrat die sich bereits vollziehenden Vermögensverschiebungen nicht mehr verhindern können. Tatsächlich kam es zu einem Tauziehen zwischen deutschen Stellen und der Berliner Kommandantur, begleitet von Aktionen in Betrieben und Forderungen der demokratischen Öffentlichkeit, durch einen Volksentscheid die Dinge voranzubringen. Die Auseinandersetzungen fanden erst ein Ende mit der Währungsreform im Sommer 1948, der Spaltung der Stadtverwaltung und der schließlichen Wiederherstellung der alten Besitzverhältnisse. Aber im Frühjahr 1947 war vieles noch offen. Die Mehrheitsverhältnisse im Stadtparlament machten es am 27. März 1947 möglich, ergänzend zum Enteignungsgesetz eine von der SED eingebrachte Verordnung zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten zu beschließen. In Beantwortung der alliierten Einsprüche wurde im Paragrafen 2 der Verordnung festgelegt, dass als Kriegsverbrecher und Naziaktivisten diejenigen Personen gelten, die in der Direktive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946 des Alliierten Kontrollrats in Deutschland als Hauptschuldige und Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer) bezeichnet wurden. Schon im Oktober 1945 hatte ein USA-Senatsausschuss (Kilgore-Ausschuss) die Namen von 42 Großindustriellen, die der Kriegsverbrechen beschuldigt wurden, aufgelistet. Darunter befanden sich die Namen auch von in Berlin ansässigen Großunternehmen wie die AEG, die Schöneweider AkkumuIatorenfabrik (Akku), die Batterie- und Elementefabrik (BAE) sowie die Reinickendorfer Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM, später Deutscher Maschinen und Waggonbau), zudem die Namen Flick, Hugenberg, Bucher, Pferdmenges u.a. Die Verwaltung des durch die Enteignungen entstehenden Sondervermögens sollte auf demokratischer Grundlage unter der Obhut des Magistrats und des Parlamentes sowie unter Beteiligung der Gewerkschaften und der Belegschaften erfolgen. Es kam nicht dazu. Noch gibt es im Grundgesetz der Bundesrepublik die Artikel 14 und 15 mit ihrer Bindung des Eigentums an das WohI der Allgemeinheit und der Zulässigkeit von Enteignungen. Und noch bzw. gerade jetzt sind im außerparlamentarischen Kampf gegen unsoziale Raffgier der Großunternehmen, Machtmissbrauch und Soz...

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