Selbstbefragung vor blindem Spiegel

Kritische Fragen zu Dani Levys Film »Mein Führer«

  • Fred Kelemen
  • Lesedauer: 6 Min.
Kennen Sie den? - Adolf Hitler als boxendes Senfwürstchen. Oder den? - Adolf Hitler als impotenter Bettnässer? Darf man über Hitler lachen? Diese, im Zusammenhang mit dem Film »Mein Führer« von Dani Levy öffentlich gestellte Frage, ist im Jahre 62 nach Adolf lächerlich. Sie wurde schon zu Lebzeiten des »Führers« intelligent von Charles Chaplin beantwortet. Auch wenn dieser später sagte, er hätte den Film nicht gedreht, wenn er schon damals vom Ausmaß der Judenvernichtung gewusst hätte. Darf man über Hitler lachen? Wir leben inzwischen nicht mehr im Dritten Reich, wo diese Frage tatsächlich relevant war. Zu jener Zeit wurde ein ehemaliger Mitschüler Adolfs hingerichtet, weil er eines Abends in einer Kneipe erzählte, er, Adolf und andere Mitschüler hätten sich einmal einer Mutprobe unterzogen, die darin bestand, einem lebenden Ziegenbock ins Maul zu pinkeln. Als Adolf an der Reihe war, hätte der Bock zugeschnappt und ihm den Pimmel abgebissen. Diese Geschichte wurde von einem Mann am Nebentisch mitgehört, und wenig später wurde Adolf Hitlers ehemaliger Mitschüler verhaftet und exekutiert. Darf man über Hitler lachen? Stellt der Regisseur Dani Levy diese Frage im Jahr 2007 im Ernst? Oder ist das nichts anderes als Koketterie und Strategie, mit der Aufmerksamkeit auf diesen Film gelenkt werden soll? Der Lachmuskel ist kein ausreichender Ersatz für das Hirn. Angeblich soll das Lachen über Hitler subversiv entlarven, dass er ein »lächerlicher, armseliger« Kerl war. So jedenfalls äußerte es Dani Levy in verschiedenen Interviews. Doch gerade das war Hitler nie. Die Witze, die nun Levys Film über ihn macht, gleichen denen des Kindes, das seinen autoritären, brutalen Vater nicht anders bewältigen kann, als hinter seinem Rücken Witze über ihn zu reißen. Und so nichts »bewältigt«. Die Komödie, die Satire, die Posse als der Gesellschaft entgegengehaltener Spiegel, der das entlarvende, Erkenntnis fördernde Lachen provoziert, hat Analyse, Erkenntnis und eine Haltung seitens des Autors zur Voraussetzung. Der Spiegel des Dani Levy ist blind, er reflektiert nichts. Und kein Lachen bleibt hier im Hals stecken. Dieser seichte, biedere Film geht an allem vorbei, was wesentlich am »Fall Hitler« sein könnte, und leistet damit nach Oliver Hirschbiegels »Der Untergang« einen weiteren Beitrag zur Banalisierung und somit Verschleierung der Kausalitäten und Hintergründe. Darf man über Hitler lachen? Von wem oder was soll uns das Lachen befreien? Soll es uns von Hitler befreien, damit wir uns endlich nicht mehr mit ihm auseinandersetzen müssen, nicht mehr mit uns und unserer furchtbaren Vergangenheit, in deren Schatten wir auch heute noch leben, und die noch erschreckend in uns lebt? Oder soll unser Lachen ihn von uns befreien? Von unserer Scham, unserem Schmerz, unserer Schuld oder Verantwortung, von unserer Verzweiflung, den Alten nicht los zu werden? Wenn wir das Dritte Reich dann in die Tiefe des Vergessens fortgelacht haben, sind wir dann endlich frei? Im Jahr 1951 schrieb Theodor W. Adorno in »Kulturkritik und Gesellschaft«: »Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.« Daraus sprechen noch ganz der Schrecken und das Erschaudern und ethische Verantwortung. Heute, 56 Jahre später, hat Dani Levi einen Pakt mit der Harmlosigkeit geschlossen, um verkaufswirksam einen Film in die Kinos zu bringen. »Hitler sales.« Levy weiß das. Und auch wenn es wirtschaftlich funktioniert, mindert das nicht den Zynismus, der darin steckt. Denn Hitler ist ohne Schmerz nicht zu bekommen. Alles andere ist verlogen. So über Hitler zu lachen, heißt: an ihm zu scheitern. Oder war er doch nicht so gefährlich, so destruktiv, räuberisch, militant, verachtend, sein Handeln nicht so verbrecherisch? War er eher der etwas verstörte alte Herr aus Oliver Hirschbiegels »Untergang«, wie er jetzt in »Mein Führer« in etwas lächerlicherer Variante wieder vor uns steht? In Dani Levys Film erklärt Hitler, er habe die »Endlösung der Judenfrage« so gar nicht gewollt, ihm hätte es gereicht, die Juden in die Wüste zu schicken, nach Madagaskar. Andere haben ihn wohl dazu gedrängt. Wie in »Der Untergang« gibt es auch hier Nazis und Deutsche. Und schon zu den Letzteren gehört Adolf Hitler ja nicht. Und vielleicht ist es auch nur ein Gerücht, dass Adolf Hitler Antisemit war? Ist Hitler unschuldig? In Levys Film sagt der Jude zu seiner Frau, als sie den im Bett zwischen den beiden schlafenden Diktator mit einem Kissen ersticken will, sie dürfe das nicht tun, denn wenn sie das täte, mache sie sich ebenso schuldig wie er, der Tausende Unschuldiger getötet hätte. Er sei doch auch nur ein ungeliebtes Kind. Diese Szene ist in dem Film nicht als Witz angelegt - worin sollte hier auch der Witz bestehen? - und lässt nach der Haltung des Regisseurs fragen. Meint er diesen Satz ehrlich? Oder hat er einfach keine Haltung? An dieses Thema ohne Haltung heranzugehen, wäre noch furchtbarer, als diesen von dem Juden geäußerten Gedanken ernst zu meinen. Dient das Thema des Filmes nur als Spaßhintergrund? Wer so nachlässig und gedankenfaul mit dem Stoff umgeht, banalisiert das Verbrechen und arbeitet mit an einem geistigen Klima, in dem Szenen möglich sind wie jene deutscher Bundeswehrsoldaten, die sich in Afghanistan grinsend mit Totenschädeln unbekannter Menschen fotografieren lassen. Just for fun. Darf man über Mengele lachen? Kann man über Mengele lachen? Wer über Mengele lacht, verhöhnt seine Opfer. Hat Adolf Hitler keine Opfer zu verantworten? Hat er von Auschwitz nichts gewusst? Ist er harmloser als Mengele? Wer kann über Mengele lachen? Wer über Hitler? Vielleicht mag mancher über den Adolf-Hitler-Darsteller Helge Schneider lachen. Dass ausgerechnet Dani Levy, der in letzter Zeit betont als »jüdischer Regisseur in Deutschland« auftritt, vorgibt, den Deutschen helfen zu wollen, Hitler loszuwerden, ihn sich von der Seele zu lachen, ist zumindest grotesk. Wenn am Schluss, nachdem der Film schon zu Ende ist, als »Bonus-Track« vermeintlich dokumentarisch aufgenommene Interviewfetzen zu sehen sind, die in Kinderfernsehmanier zu zeigen versuchen, dass der gemeine Deutsche heutzutage nicht weiß, wer Adolf Hitler war, wird diese Unwissenheit lediglich als letzte Spaßvariante benutzt, um die Banalisierung, die der Film zuvor betrieben hat, zu rechtfertigen. Wer einen Film über das Dritte Reich dreht, dreht auch immer einen Film über die Gegenwart. Das Problem »Hitler« ist ein Problem des deutschen Volkes und der Deutschen und es ist ein Ereignis auch jüdischer Geschichte. Es ist mit Sicherheit kein schlechter Witz und keine banale Psychonummer mit einem ehemals ungeliebten Kind in der Hauptrolle. Der Autor, geboren 1964 in Berlin, studierte an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin; er ist Regisseur von Filmen, Videos und Theaterstücken sowie Gastdozent in Barcelona, Genf und Riga.
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